Predigt zum Fest Allerheiligen (Mt 5,1-12a)

Heilig, weil Gott heilig ist

Das Fest Allerheiligen lässt uns jedes Jahr darüber nachdenken, was denn dieses Wort „heilig“ überhaupt bedeutet, das wir für viele bekannte und weniger bekannte Menschen verwenden.

Wesentlich für das richtige Verständnis dieses Wortes ist, dass diese Eigenschaft ursprünglich nur für Gott gebraucht wurde. Er ist der Heilige. Daher beten wir ja auch bei jeder Messe: „Heilig, heilig, heilig, Gott, Herr aller Mächte und Gewalten. Hosanna in der Höhe.“ Und im Hochgebet heißt es dann: „Ja, du bist heilig, großer Gott, du bist der Quell aller Heiligkeit.“

Gott ist es also, der heilig ist, und er ist die Quelle aller Heiligkeit. Von ihm allein geht das Heil aus, das Leben in Vollendung, das Glück, die Freude, der Friede, die Gerechtigkeit, der Trost, alle Macht und Herrlichkeit … so wie es Jesus Christus in den Seligpreisungen beschrieben hat. Und am Ende dieser Seligpreisungen sagt Jesus: „Freut euch und jubelt, denn euer Lohn wird groß sein im Himmel.“

Genau deshalb dürfen wir diesen Begriff „heilig“ seit Jesus Christus auch für die Menschen anwenden. Aber nicht deshalb, weil der Mensch so Großartiges geleistet hätte oder gar Gott gleich wäre, sondern weil er von Gott, der Quelle der Heiligkeit, mit dieser Heiligkeit beschenkt wurde. Das Wort „heilig“ macht uns also die einzigartige Würde deutlich, die jeder Mensch als Geschöpf Gottes besitzt. Und dieses Wort erinnert uns an unsere Taufe, wo eine jede und ein jeder von uns von Gott heiliggesprochen wurde: „Du bist meine geliebte Tochter, mein geliebter Sohn … an dir habe ich Gefallen gefunden.“

So empfiehlt uns der heilige Franz von Sales, uns nicht nur einmal im Jahr, sondern immer wieder an diese Würde zu erinnern: „Danke Gott, dass er dich aus dem Nichts gezogen hat, um dich durch seine Barmherzigkeit zu dem zu machen, was du bist.“ (vgl. Philothea I,9; DASal 1,46). Franz von Sales ist eben davon überzeugt: Jeder Getaufte ist heilig, weil er von Gott beschenkt wurde.

Im Laufe der Kirchengeschichte hat sich nun ein eigenes Verfahren herausentwickelt, in der einzelne Menschen auf besondere Weise heiliggesprochen werden. Mit diesen Heiligsprechungen erklärt aber die Kirche einzelne Menschen nicht zu Göttern oder Halbgöttern. Es geht bei diesen Verfahren auch nicht um besondere Wunder, die geschehen sind. Das Wichtigste bei Heiligsprechungsverfahren ist nicht das Wunder … das ist vielleicht für die Öffentlichkeit das Spektakulärste, über das man am liebsten diskutiert … das Wesentliche einer Heiligsprechung ist die Feststellung des heroischen Tugendgrades, wie man das kirchenrechtlich nennt.

Was steckt hinter diesem kirchenrechtlichen Fachbegriff? Damit sagt uns die Kirche: Wenn du dich mit dem Leben dieses Menschen beschäftigst, dann kannst du in dieser Lebensgeschichte Dinge entdecken, die dir helfen können, deinen eigenen Glaubensweg zu gehen. Heiliggesprochene Menschen sind also Menschen, von denen die Kirche meint, dass sie uns helfen können, unser eigenes Leben in der Nachfolge Jesu besser zu verstehen und zu bewältigen.

Wir denken an Allerheiligen auch verstärkt an die Verstorbenen … vor allem natürlich morgen, am Fest Allerseelen. Bei meinen Trauergesprächen, wo mir die Angehörigen über das Leben der Verstorbenen erzählen, versuche ich immer herauszuhören, was denn die Botschaft dieses Lebens für die Angehörigen ist, das ihnen helfen kann, ihr Leben zu leben. Was gibt der Verstorbene mir mit für meinen Lebens- und Glaubensweg. Also letztlich ist jedes Trauergespräch nicht nur eine gute Art, sich an die Verstorbenen zu erinnern, sondern ein kleiner Heiligsprechungsprozess, selbst dann, wenn es in diesem Leben viele Fehler und Schwächen gegeben hat. Diese alte Tradition, über die Verstorbenen nichts Böses, sondern nur Gutes zu sagen, bedeutet nicht, dass ich jetzt alle Fehler und Schwächen unter den Tisch kehren soll, sondern fordert mich dazu auf, darüber nachzudenken: Was kann ich vom Leben dieses Menschen lernen?

Mein großer Lehrmeister ist der heilige Franz von Sales. Immer, wenn ich etwas wissen möchte, dann schaue ich bei ihm nach, ob er nicht einen Rat für mich hat, und ich entdecke eigentlich jedes Mal einen Satz, einen Gedanken, der mir weiterhilft. Das Angebot der Kirche ist mittlerweile prall gefüllt mit Menschen, die solche Ratgeber sein können … und daher feiern wir heute auch dieses Fest Allerheiligen und freuen uns darüber, dass wir alle durch die Taufe von Gott mit Heiligkeit beschenkt wurden. Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS