Predigt zum 31. Sonntag im Jahreskreis (Dtn 6,2-6; Mk 12,28b-34)

Liebe

Was ist das Wichtigste im Christentum? Sollten wir einmal diese Frage gestellt bekommen, so bräuchten wir darauf nur mit einem Wort antworten: nämlich Liebe.

Die Bibelfesten könnten dann auch noch den Text des heutigen Evangeliums zitieren und darauf hinweisen, dass dies auch für das Judentum gilt. Denn das, was wir da eben im Evangelium gehört haben findet sich auch schon im Buch Deuteronomium – und dieser Text gilt als das zentrale Glaubensbekenntnis der Juden. Die Liebe ist also nach jüdisch-christlicher Tradition das wichtigste.

Die Liebe ist „Ziel, Vollendung und Krönung des Weltalls.“ So bestätigt es auch der heiligen Franz von Sales: „Darin … besteht die Größe und der Vorrang des Gebotes der göttlichen Liebe, das der Herr ‚das erste und größte Gebot‘ nennt (Mt 22,38)“ (DASal 4,168; Theotimus X,1). „Die Liebe allein bestimmt den Wert unseres Tuns.“ (DASal 6,368). – Gott ist Liebe.

Und wenn wir dann noch ein wenig Zeit haben und weiter darüber nachdenken wollen, was denn das alles bedeutet, worauf es denn dabei ankommt, dann könnten wir Folgendes sagen:

Das erste, worauf es in der Liebe ankommt, ist das Hören, und nicht einfach das hören, sondern das „achtsame Hören“: „Du sollst hören und darauf achten, was der Herr, unser Gott, sagt“. „Höre Israel“, „Höre, Mensch!“ Oder wie Franz von Sales schreibt: „Ach, wie gut ist es doch, die heiligen Worte zu hören, die er zu unseren Herzen spricht, wenn wir uns in die Nähe seines Herzens stellen!“ (DASal 6,377). Es geht um das achtsame Hören auf meine Umgebung, auf meine Umwelt, auf die Mitmenschen, auf mich selbst und natürlich vor allem und zuerst auf Gott. Das achtsame Hören bezieht sich dabei nicht nur auf die Ohren, sondern vor allem auf das Herz – also „mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele“ hören.

Und da ist dann auch schon das zweite, worauf es in der Liebe ankommt: auf das „ganz“. Liebe kennt keine halben Sachen, kein ja vielleicht und irgendwie. Lieben sollen wir mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele, mit ganzer Kraft, mit allen Gedanken.

Das gilt für Gott. Er allein ist der Herr, es gibt keinen außer ihn. Er ist einzig, einzigartig, der Schöpfer und Herr der Welt.

Das gilt für den Nächsten und es gilt für mich selbst. Jede und jeder einzelne besitzt als Gottes Geschöpf eine einzigartige Würde, daher kann kein Mensch von dieser Liebe ausgenommen sein – ich darf niemanden davon ausnehmen, und ich darf mich selbst nicht davon ausnehmen, denn sonst würde ich die Einzigartigkeit der Schöpfung Gottes in Frage stellen oder gar missachten.

Kein anderes Gebot ist größer als dieses Gebot der Liebe zu Gott, zu den Nächsten und zu mir selbst.

Und das soll nicht nur in meinen Kopf hinein, sondern soll vor allem auf mein Herz geschrieben stehen, denn nur was im Herzen ist, das hat auch wirklich Bestand, ist ganz und hat Ewigkeitswert.

„Gott achtet mehr auf das Herz des Betenden als auf die Worte, die er spricht.“ (DASal 9,232), weiß auch der heilige Franz von Sales. Er möchte daher, dass alles Wichtige und Wesentliche unseres Glaubens vor allem im Herzen ganz verankert ist. Denn auf das Herz kommt es an. Halbherzigkeit ist zu wenig.

Mit ganzem Herzen, mit all meiner Kraft und mit ganzer Seele über die Liebe nachdenken und darüber, wie wir sie konkret in unserem Leben umsetzen, ist also keine Zeitverschwendung, sondern das wesentliche und größte unseres Glaubens. Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS