Predigt zum Christkönigssonntag (Mt 25,31-46)

Die Liebe Gottes zerstört nicht, sie vollendet

Wenn ich diese Schilderung vom Weltgericht am Ende der Zeiten lese oder höre, dann denke ich fast automatisch an Franz von Sales und seine Zeit als Schüler und Jugendlicher in Paris. Er ging in diesen Jahren regelmäßig durch das Hauptportal der berühmten Kirche auf der Seine-Insel Notre Dame. Und über diesem Portal ist dieses Weltgericht dargestellt. Jesus der Weltenrichter, der die einzelnen Menschen richtet, die einen nach links, die anderen nach rechts. Unter ihm steht ein Engel mit einer Waage, der die Seelen der Menschen wiegt – und je nach Ausschlag der Waage wird der Mensch einem Engel übergeben, der ihn in die Glückseligkeit des Himmels begleitet, oder einem Teufel, der den Menschen packt und in die Schrecknisse der Hölle wirft.
Diese Darstellung hat Franz von Sales zunächst großen Respekt eingeflösst und dazu angetrieben, möglichst gut zu leben, fromm zu sein, alle Pflichten zu erfüllen, die von ihm als Christ gefordert wurden … dann aber machte es ihm Angst, ja stürzte ihn in eine existentielle Krise. Er merkte nämlich an sich, dass er sich noch so bemühen kann, er schaffte es trotzdem nicht, den hohen Anforderungen der christlichen Gebote und Vorschriften zu genügen. Und so war er plötzlich davon überzeugt, dass Gott ihn verdammt hätte. Er könne machen, was er will, es ist bereits beschlossen, dass er zu jenen Seelen gehört, die dem Teufel übergeben und in die äußerste Finsternis der Hölle geworfen werden. Das stürzte ihn in eine tiefe Depression, die ihn auch körperlich kaputt machte. In dieser Situation schleppt er sich in eine kleine Kapelle vor eine Statue der Gottesmutter Maria, die von allen „Unsere Liebe Frau von der guten Erlösung“ genannt wurde. Und genau dort wurde er von seiner Lebens- und Glaubenskrise, von seinen inneren und äußeren Qualen auf einen Schlag befreit. Genau dort begriff er nämlich, dass Gott Liebe ist – und alles, was geschieht, gut ist, wenn ich mich diesem Gott der Liebe restlos anvertraue. Denn „die Liebe Gottes“, so wird er es später formulieren, „zerstört nicht, sie vollendet“.
Diese Erkenntnis des Jänners 1587 war die Geburtsstunde des salesianischen Gottesbildes – Gott ist Liebe; die Geburtsstunde des salesianischen Optimismus – Wer Gott vertraut, wird nicht verloren gehen – und die Geburtsstunde des salesianischen Lebenskonzeptes: Lebe so, dass die Menschen, denen du begegnest, spüren und erfahren, dass Gott Liebe ist.
Diese existentielle Erfahrung des Jänners 1587 hat das gesamte weitere Leben des heiligen Franz von Sales geprägt. Franz von Sales ist nur zu verstehen, wenn wir diese seine Lebenskrise und die Lösung daraus mitbedenken.
Und das hat natürlich ganz praktische Konsequenzen, denn Liebe liebt nicht für sich, sie will sich verschenken, vor allem an jene, die hungern, dürsten, fremd und obdachlos sind, die nackt sind oder krank oder im Gefängnis. Vor allem jenen gilt es, die Liebe Gottes spüren zu lassen, denn vor allem in jenen begegne ich Christus konkret, hautnah, spürbar.
Gottes- und Nächstenliebe gehören untrennbar zusammen, das eine ist ohne das andere nicht möglich. Wer Gott spürbar begegnen will, der begegnet ihm in der liebenden Begegnung mit seinen Mitmenschen. Überall dort, wo ich Liebe spüre, spüre ich die Gegenwart Gottes unter uns.
So einfach geht Glaube … ich muss es nur tun. Willst du Gott ganz konkret begegnen, dann verschenke deine Liebe an jene, die Liebe am notwendigsten brauchen.
Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS