Predigt zum 9. Sonntag im Jahreskreis (Mk 2,23-28)

Sonntag

Die Einführung des Sabbatgebotes war in der Menschheitsgeschichte eine große soziale Errungenschaft. Das sollten wir gerade dann nicht vergessen, wenn Jesus, so wie im heutigen Evangelium, mit dem Sabbatgebot in Konflikt gerät.

Nach sechs Tagen Arbeit darf nicht nur, sondern muss ein Ruhetag eingelegt werden – und zwar für alle und alles, ohne Unterschied: Mann und Frau, Herr und Knecht, Arme und Reiche, Fremde und Bürger. Nicht nur die Menschen müssen sich ausruhen, sondern auch die Tiere, und nicht nur die Tiere, sondern die ganze Schöpfung, sogar die Arbeitsgeräte und Maschinen. Der Sabbat ist der Tag der Ruhe und jener Tag, der dem Lob und Dank Gottes vorbehalten ist, denn der Sabbat gehört zum Schöpfungsplan, ist also ein Werk Gottes.

Wie so oft bei Geboten und Gesetzen, wurde aber im Laufe der Zeit der Buchstabe absolut gesetzt, und das Ziel – das Wohl des Menschen und der ganzen Schöpfung – vergessen. Und genau darauf macht Jesus aufmerksam: Nicht der Buchstabe, sondern Gott ist der Herr über den Sabbat; der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat. Jesus schafft also das Gesetz nicht ab, ganz im Gegenteil: er erfüllt es, in dem er dessen Ausführung wieder ins richtige Licht stellt.

Und wie ist das nun heute? Heute hat sich ein etwas anderer Trend schon längst durchgesetzt. Das Sonntagsgebot, das bei den Christen das jüdische Sabbatgebot abgelöst hat, verliert nämlich mehr und mehr an Bedeutung. Gott steht schon längst nicht mehr im Mittelpunkt der Sonntagsgestaltung, aber auch das Wohl des Menschen und der Schöpfung verblasst. Heute heißt es: der Mensch ist für das Wochenende da, nicht das Wochenende für den Menschen. Der Mensch ist für die Wirtschaft und Arbeit da, nicht die Arbeit und Wirtschaft für den Menschen. Der Mensch ist für die Freizeitangebote da, nicht die Freizeitangebote für den Menschen. Die Folge ist eigentlich eine ziemlich ungesunde Entwicklung, die sowohl dem Menschen als auch der Schöpfung schadet.

Zum Wohl der Menschen und der Schöpfung täte es uns allen also gut, wenn wir dem Sonntag wieder jenen Stellenwert zurückgäben, den er einmal hatte: ein echter Ruhetag zur Ehre und zum Lob Gottes. Nicht um irgendeinem Gebot oder Gesetz zu dienen, sondern um dem Menschen und der Schöpfung Gutes zu tun, so wie es eben ursprünglich auch einmal gedacht war.

Insofern ist die Botschaft Jesu aus dem heutigen Evangelium hochaktuell. Sie macht uns nämlich bewusst, wie wichtig und wertvoll der Sonntag für den Menschen und die Schöpfung ist. Für den heiligen Franz von Sales war der Sonntag vorrangig natürlich der „Tag des Herrn“ … „Der Sonntag wird Tag des Herrn genannt, weil er Gott geweiht ist.“ (DASal 11,114). Was so einfach und selbstverständlich klingt, ist es schon längst nicht mehr. Wann habe ich mir zum Beispiel das letzte Mal die Frage gestellt: Wie gestalte ich meinen Sonntag, damit er wirklich zum „Tag des Herrn“ wird, zum Tag, der „Gott geweiht“ ist?

Franz von Sales hat sich darüber schon als Student Gedanken gemacht und sich Folgendes vorgenommen:

Ich werde „den Sonntag nicht vorübergehen lassen, ohne dieses ungesäuerte Brot (Ex 12,8), das wahre Brot vom Himmel (Joh 6,33) zu essen. Wie könnte denn der Sonntag für mich ein Tag des Sabbats und der Ruhe sein, wenn es mir verwehrt ist, den Urheber meiner ewigen Ruhe zu empfangen?“ (DASal 12,162-63)

Das Ährenausreißen der Jünger wird also heute zur Anfrage an mich: Habe ich überhaupt noch Hunger nach diesem Brot des Himmels, das mir jeden Sonntag angeboten wird? Oder bin ich mit allem anderen, das mir ein Wochenende bietet, so übersättigt, dass dieser Hunger in mir völlig überlagert ist?

Über all diese Fragen zur Gestaltung des Sonntags wieder einmal nachzudenken, könnte uns allen gut tun: Wie wird der Sonntag für mich wieder ein Tag der Ruhe zum Lob und zur Ehre Gottes? Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS