Predigt zum 10. Sonntag im Jahreskreis (Mk 3,20-35)
Der Maßstab unseres Glaubens
Familie bedeutete zur Zeit Jesu ein bisschen etwas anderes als bei uns heute. Zur Familie gehörten nicht nur Eltern und Kinder, sondern auch andere Verwandte: Großeltern, Onkeln, Tanten, Cousins und Cousinen und noch weitere Angehörige. Diese Großfamilie war gleichzeitig auch das soziale Netz für jede und jeden Einzelnen. Sie war die soziale, wirtschaftliche, religiöse und private Absicherung innerhalb der Gesellschaft. Daher war es auch so wichtig, dass jedes Mitglied dieser Großfamilie den üblichen Gepflogenheiten und Sitten entspricht. Wer das nicht tut, der bringt sich nicht nur selbst in Gefahr, sondern auch das ganze Gefüge der Großfamilie.
Daher ist es auch sehr verständlich, dass die Familie Jesu so reagiert, wie es uns der Evangelist Markus gerade geschildert hat: „Als seine Angehörigen“ von den Aktionen Jesu „hörten, machten sie sich auf den Weg, um ihn mit Gewalt zurückzuholen; denn sie sagten: Er ist von Sinnen.“
Was ist passiert? Jesus, der Sohn des bescheidenen, ruhigen Zimmermanns Josef aus Nazareth, tritt plötzlich in die Öffentlichkeit und spielt sich auf wie ein Schriftgelehrter oder Rabbi, obwohl er dafür gar keine besondere Ausbildung hat. Mit seinen spektakulären Wundern zieht er die Massen an. Seine Dämonenaustreibungen machen ihn aber gleichzeitig sehr suspekt. Steckt da vielleicht der Teufel dahinter?
Dass die ganze Situation sehr ernst genommen wurde, erkennen wir daran, dass nicht nur die Familie zu Jesus kommt, sondern sogar eine Abordnung an Schriftgelehrten aus Jerusalem.
Wie reagiert Jesus? Er kontert mit einem unglaublichen Sendungsbewusstsein: Ich bin derjenige, der den Willen Gottes erfüllt. Das macht mich stärker als alle Dämonen, ja stärker als Beélzebul oder Satan. Wer sich gegen mich stellt, stellt sich gegen den Heiligen Geist und damit gegen die Familie Gottes, deren Brüder, Schwestern und Mütter sich dadurch auszeichnen, dass sie auf Gott uns seine Gebote hören und diese erfüllen.
Dem Evangelisten Markus geht es nicht darum, die innerfamiliären Streitigkeiten und Probleme der Familie Jesu aufzudecken, sein Ziel ist es, deutlich zu machen, dass mit Jesus Christus das Reich Gottes, das durch die Propheten seit Jahrhunderten angekündigt wurde, jetzt angebrochen ist. Jene, die ihm nachfolgen, gehören zu seinen Schwestern und Brüdern.
Was bedeutet das für uns heute? Jesus Christus ist und bleibt der Maßstab unseres Glaubens. Glücklicherweise leben wir in einem Land mit Religionsfreiheit. Mich öffentlich zu Jesus Christus zu bekennen, bedeutet nicht, so wie in vielen anderen Ländern unserer Welt den Tod, oder zumindest Gefängnis und Folter, aber es kann sehr wohl Spott bedeuten, verächtliches Lächeln, und manchmal kann man dafür sogar für verrückt erklärt werden. Sich dennoch zu Jesus Christus zu bekennen, kann also auch hier bei uns durchaus Mut erfordern. Das heutige Evangelium macht uns Mut und sagt uns: Ja, dieser Jesus Christus ist der Sohn Gottes. Wer seinen Willen erfüllt, ist auf dem richtigen Weg.
Diesen Mut spricht uns auch der heilige Franz von Sales zu, wenn er uns empfiehlt: „Haltet euch dicht an der Seite Jesu, dann wird alles recht werden. Lasst euch alles von ihm lehren, lasst euch in allem von ihm beraten. Er ist der treue Freund, der mit euch gehen wird, der euch lenken wird, der sich um euch annehmen wird.“ (DASal 2,96).
Diesen Weg mit Jesus Christus brauchen wir nicht allein zu gehen. Es gibt eben die Schwestern und Brüder, die in der ganzen Welt um Jesus als seine Kirche versammelt sind. Amen.
P. Herbert Winklehner OSFS