Predigt zum 4. Sonntag der Osterzeit (Joh 10,11-18)
Geistliche Begleitung
Jesus – der gute Hirte. Das ist nicht nur ein sehr beliebtes, sondern ein grundlegendes Bild von Jesus Christus, das seit jeher in der Kirche die Messlatte der Sorge für den Menschen bildet. Wir sprechen daher auch vom Hirtenamt, das ein Bischof oder ein Pfarrer ausübt. Die Messlatte, die der „gute Hirte“ Jesus Christus vorgibt, ist hoch: Für die Menschen da sein, sie schützen, sie hören, sie begleiten und leiten. Und im Extremfall bedeutet es sogar, für die anderen sein Leben zu opfern.
Das ist wahrlich ein sehr hoher Anspruch, der in der Praxis oft genug nicht erreicht wird. Jesus spricht ja auch vom schlechten Hirten, vom bezahlten Knecht, der die ihm anvertraute Herde einfach im Stich lässt, wenn der Wolf kommt. Dennoch ist und bleibt das Hirtesein für uns alle eine wichtige Aufgabe.
Ich sage jetzt bewusst für uns alle. Diese Aufgabe des Hirteseins gilt nämlich nicht nur für den Papst oder den Bischof, sondern in unterschiedlichen Ausprägungen für alle Christinnen und Christen, die Jesus, dem guten Hirten, nachfolgen wollen.
Wir haben dafür auch einen besonderen Begriff, nämlich die „geistliche Begleitung“ oder die „geistliche Freundschaft“.
Unser Pfarrpatron, der heilige Franz von Sales, war nicht nur ein vorbildlicher Guter Hirte als Bischof seiner Diözese Genf, eine seiner erfolgreichsten Leistungen, für die er bis heute bekannt und anerkannt ist, war sein hoher Stellenwert, den er der geistlichen Begleitung und der geistlichen Freundschaft für den Lebens- und Glaubensweg gab. Ihm war nämlich klar: Den Weg als Christin oder Christ kann man nicht allein gehen, man braucht dazu eine Begleitung.
In seinem berühmten Buch „Philothea“, wo es um das christliche Leben in der Welt geht, schreibt er daher gleich ganz am Anfang: Suche dir für diesen Weg einen geistlichen Begleiter … „das ist der dringendste Rat, den ich dir geben kann“ (Philothea I,4; DASal 1,38). Das muss kein Priester oder Bischof sein, sondern jemand, mit dem man sich offen und ehrlich über Glaubensfragen austauschen kann.
Etwas später schreibt Franz von Sales dann auch von der „geistlichen Freundschaft“. Ein Freund oder eine Freundin, mit der ich über meinen Glauben, meine Gottesbeziehung, mein Gebetsleben, meine Zweifel, meine Schwierigkeiten reden kann. „Wenn ihr einander … die Frömmigkeit, die christliche Vollkommenheit vermittelt, wie wertvoll wird dann eure Freundschaft sein!“ (Philothea III,19; DASal 1,154) schreibt Franz von Sales.
Letztlich ist das ja auch der Sinn einer Pfarrgemeinde. Dass es da einen Ort gibt, eine Gemeinschaft, wo ich merke, dass ich auf meinem Weg als Christin oder Christ nicht alleine bin, sondern auch andere gibt, die mit mir auf dem Weg sind, mit denen ich unterwegs sein kann und auch über meine Fragen und Themen, die mich bewegen, sprechen kann.
Das Vorbild bei all dem ist und bleibt der Gute Hirte Jesus Christus. Und dass uns dieses Vorbild gut tut, merken wir vor allem daran, dass von den 150 Psalmen der Bibel der Psalm 23 immer noch der beliebteste ist. Dort geht es eben um den guten Hirten, von dem es heißt: „Der HERR ist mein Hirt, nichts wird mir fehlen. Er lässt mich lagern auf grünen Auen und führt mich zum Ruheplatz am Wasser. Meine Lebenskraft bringt er zurück. … Auch wenn ich gehe im finsteren Tal, ich fürchte kein Unheil; denn du bist bei mir, dein Stock und dein Stab, sie trösten mich.“
Seien wir füreinander, so gut es eben geht, gute Hirtinnen und Hirten nach dem Vorbild unseres Herrn Jesus Christus. Amen.
P. Herbert Winklehner OSFS