Predigt zum 3. Sonntag der Osterzeit (Lk 24, 35-48)

Gottesfurcht oder das heilige Erschrecken

die Ostererzählungen, die wir derzeit Sonntag für Sonntag hören, eignen sich eigentlich sehr gut, sich in die Gemütslage der Jüngerinnen und Jünger nach der gewaltigen Auferstehungserfahrung am Ostermorgen zu versetzen.

Da sitzen sie also völlig verwirrt im Abendmahlssaal, die Türen verschlossen. Und plötzlich steht Jesus mitten unter ihnen. Die erste Reaktion ist nur allzu verständlich: „Sie erschraken und hatten große Angst, denn sie meinten einen Geist zu sehen.“

Mit diesem Erschrecken schließt sich übrigens auch der Kreis, mit dem alles begann. Damals, mehr als dreißig Jahre zuvor, als der Engel des Herrn plötzlich in Nazareth vor Maria stand. Auch sie erschrak in dieser für sie völlig überraschenden, unerwarteten Situation.

Das Erschrecken gehört offenbar wesentlich zur Begegnung mit dem Göttlichen dazu. Das Unfassbare, das Unbegreifliche, das Unvorstellbare – plötzlich steht es mir vor Augen, plötzlich ist es mir ganz nahe. Ja, so etwas kann durchaus auch Angst machen. Aber genau das ist nicht die Absicht Gottes: Er will uns keine Angst machen. Daher sagt der Engel auch zu Maria: „Fürchte dich nicht, Maria: denn du hast bei Gott Gnade gefunden.“ – Und Jesus Christus, der Auferstandene, wünscht den Jüngern den Frieden und fragt: Was seid ihr so bestürzt? – Ich bin es doch. Schaut her, meine Hände, meine Füße, ihr könnt mich ruhig anfassen, damit das Unbegreifliche, das euch jetzt Angst macht, für euch begreifbar wird, so wie Fleisch und Knochen.

Und ein weiteres geschieht: Sowohl der Engel des Herrn als auch Jesus Christus selbst erklären Maria oder den Jüngern das Unfassbare aus der Tradition der Heiligen Schrift: Dort ist alles angekündigt, im Gesetz des Mose, bei den Profeten in den Psalmen. Dort steht: Ein Kind wirst du gebären, er wird groß sein, Sohn des Höchsten genannt werden, auf dem Thron Davids sitzen und über das Haus Jakobs herrschen – und seine Herrschaft wird kein Ende haben. Und Jesus macht deutlich: So steht es in der Schrift: Der Messias wird leiden und am dritten Tag von den Toten auferstehen – und darüber wird man allen Völkern, angefangen in Jerusalem, verkünden. Ihr seid Zeugen dafür.

Was sich damals in Nazareth oder Jerusalem ereignete, geschieht immer noch. Es sind zeitlose Botschaften mit Ewigkeitswert, stehen also außerhalb unserer Zeit und sind daher immer gültig. Die Frage ist also, ob auch wir uns heute davon treffen und – ja – erschrecken lassen. Ob sie uns also auch heute noch aufrütteln, damit wir zu Zeuginnen und Zeugen dieser Botschaft werden, so wie Maria, so wie die Jüngerinnen und Jünger im Abendmahlssaal.

Die „Gottesfurcht“ ist eine der sieben Gaben des Heiligen Geistes. Das sollten wir nicht vergessen. Es geht dabei ganz und gar nicht darum, vor Gott Angst haben zu müssen. Nein, das wäre völlig falsch: Unser Gott ist kein Angst machender Gott, sondern der Gott der Liebe. Worum es aber sehr wohl geht, das ist die Ehrfurcht, die uns manchmal auch vor der Größe und Unbegreiflichkeit Gottes erschrecken lässt.

Der heilige Franz von Sales rät uns, dass wir „unter allen Tugenden“ „die Ehrfurcht vor den göttlichen Dingen … und der hochheiligen Gottesfurcht mit besonderer Sorgsamkeit pflegen“ sollten. Und wie geht das? „Indem wir oft von den göttlichen Dingen reden, oft an die Ewigkeit denken und uns nach ihr sehnen, in dem wir eifrig sind im Besuch der Kirchen und der gottesdienstlichen Handlungen, geistliche Lektüre pflegen und die Zeremonien der christlichen Religion beobachten“ (DASal 4,231).

Ein bisschen, so meine ich, täte uns diese Ehrfurcht vor dem Geheimnis Gottes, dem Wunder seiner Menschwerdung, seinem Tod am Kreuz und seiner Auferstehung gut. Wir haben diese Gottesfurcht als Gabe des Heiligen Geistes geschenkt bekommen, nicht, damit wir dieses Geschenk irgendwo vergraben, sondern damit wir sie in uns zum Wachsen und Blühen bringen.

Etwas, das uns dabei helfen kann, ist das Staunen. Maria staunte über die Worte des Engels – und die Jünger staunten und konnten es vor Freude immer noch nicht glauben, was da gerade geschieht. Dieses Staunen gehört zur Gottesbegegnung und Gottesbeziehung ebenso dazu wie das Erschrecken. Es soll uns neugierig machen auf die wunderbaren Geheimnisse, die unser Glaube für uns in Überfülle bereithält.

„Bleiben Sie doch in Frieden vor Unserem Herrn, der Sie schon so lange liebt,“ schreibt der heilige Franz von Sales in einem Brief, „hat er Ihnen doch die hochheilige Gottesfurcht und Sehnsucht nach seiner Liebe eingeflößt“ (DASal 6,163). Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS