Predigt zum 32. Sonntag im Jahreskreis (Mk 12,41-44)

Gott alles geben

„Der göttliche Bildhauer liebt es …, aus … scheinbar ganz unbrauchbarem Holz schöne Bilder zu schnitzen“ (DASal 2,266). Diese Aussage des heiligen Franz von Sales finden wir im eben gehörten Evangelium bestätigt.

Zur Zeit Jesu war eine Witwe ohne männliche Angehörige auf der untersten Stufe der gesellschaftlichen Leiter angesiedelt. Sie war also eigentlich noch weniger als „unbrauchbares Holz“. Sie war bedeutungslos, sie hatte nichts, außer ihre Armut. Kein Ansehen, kein Geld, keine Lobby, alles, worauf sie hoffen konnte, war die Barmherzigkeit ihrer Mitmenschen. Zwei kleine Münzen, die man ihr wahrscheinlich erst kurz zuvor beim Betteln zugeworfen hatte, bedeuteten oft das Überleben eines ganzen Tages. Und genau diese arme, gesellschaftlich bedeutungslose Witwe wird für Jesus Christus zum großen Vorbild für wahre und echte Frömmigkeit. Sie wird also zum wunderbaren Schnitzwerk, an dem wir noch heute erkennen können, was es bedeutet, Christ zu sein und christlich zu handeln.

Was macht diese arme Witwe zum göttlichen Kunstwerk, das man noch heute – zweitausend Jahr später – betrachten kann? Jesus sagt es klar und deutlich: „Diese Frau, die kaum das Nötigste zum Leben hat, sie hat alles gegeben, was sie besaß.“ – Nicht mehr und nicht weniger.

Genau darauf kommt es an: Es geht nicht darum, dass ich mich vor Gott in den schönsten Farben präsentiere und ihm die größten Heldentaten verspreche, die einzuhalten ich kaum Gelegenheit habe. Es geht vielmehr darum, dass ich ihm alles gebe, alles, was ich habe und bin – nicht mehr und nicht weniger.

„Guter und allmächtiger Gott, hier sind meine Stärken und Fähigkeiten … ich stelle sie dir zur Verfügung, tu mit ihnen, was du für richtig hältst …

Und hier sind meine Schwächen und Fehler. Auch sie stelle ich dir zur Verfügung, verwende sie nach deinem Willen. Ich weiß, du kannst aus unbrauchbarem Holz schöne Bilder schnitzen, du kannst auf krummen Zeilen gerade schreiben, du kannst glimmende Dochte wieder zum Brennen bringen.

Alles, was ich bin und habe, gehört dir – nicht mehr und nicht weniger.“

Bin ich bereit, ein solches Gebet in seiner Gegenwart zu sprechen – und ihm wirklich alles zu geben, damit er damit tut, was er will? Bin ich bereit, alles zu geben, weil ich Gott voll und ganz vertraue, dass er daraus das Beste machen wird?

„Bieten Sie Gott Ihre kleine Mitarbeit an“, rät der heilige Franz von Sales, „und seien Sie sicher, dass er sie gern annehmen und mit seiner heiligen Hand segnen wird“ (DASal 7,281-282).

Gott alles, was ich bin, zur Verfügung zu stellen, all meine Fähigkeiten, all meine Schwächen, mein ganzes Sein, das ist kein Risiko, sondern ganz im Gegenteil: die beste Investition in meine Zukunft. Genau das lehren uns die zwei kleinen Münzen der armen Witwe. Durch den Segen Gottes wird daraus ein Schatz für die Ewigkeit.

„Die großen Gelegenheiten, Gott zu dienen, sind selten: kleine gibt es immer.“ So lesen wir es bei Franz von Sales. „Wer aber im Kleinen treu ist, sagt der Heiland, den wird man über Großes setzen (Mt 25,21). Verrichte also alles im Namen Gottes (Kol 3,17) und es wird gut getan sein. Ob du isst oder trinkst (1 Kor 10,31), dich erholst oder am Herd stehst: Wenn du deine Arbeit gut verrichtest, wirst du großen Nutzen vor Gott haben, wenn du alles tust, weil Gott es von dir verlangt“ (DASal 1,191, Phil III,35).

Die Frage des heutigen Sonntags an mich lautet also: Bin ich bereit, Gott alles zu geben? Und vertraue ich darauf, dass Gott durchaus in der Lage ist, selbst aus unbrauchbarem Holz schöne Bilder zu schnitzen. Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS