Predigt zum 30. Sonntag im Jahreskreis (Mt 22,34-40)

Hauptgebot: Liebe

Es ist schon sehr gut, dass es diese Stelle des Evangeliums gibt, die wir eben gehört haben. Sie bringt nämlich unseren christlichen Glauben auf den Punkt und macht damit sehr viel sehr einfach, gerade im Zeitalter der sozialen Kommunikationsmittel. Eine Twittermeldung darf ja nur 140 Zeichen lang sein. Das schaffen wir mit dieser Aussage Jesu: Was ist das wichtigste Gebot? Gottesliebe und Nächstenliebe. Und es geht sogar noch kürzer: Was ist im Christentum das Wichtigste: Die Liebe.

Der heilige Franz von Sales ist in der christlichen Tradition der Lehrer der Liebe. Er hat in seinem Leben genau das begriffen und gelebt, was Jesus dem Gesetzeslehrer sagte: Gott ist Liebe. Die Liebe ist das wichtigste Gebot. Überall dort, wo du Liebe spürst, spürst du Gott. Lebe also so, dass die Menschen, denen du begegnest, die Liebe spüren. Das ist deine Sendung als Christ in dieser Welt. Und so könnte ich in der Beschreibung dieses Heiligen der Liebe weitermachen. Wie hat er sein Bischofsamt verstanden? Als Liebesdienst. Wie ist er mit den Menschen umgegangen? Liebevoll. Was hat die Menschen an ihm beeindruckt? Seine Liebenswürdigkeit. Mit welchem Wort könnte man sein Leben, seine Lehre, sein Wirken, seinen Glauben zusammenfassen? Mit dem Wort Liebe.

Gleiches gilt natürlich auch für Jesus Christus, dem Franz von Sales nachfolgte. Und so haben ja auch viele Menschen nach dem Tod des Franz von Sales gesagt: Wenn ich Franz von Sales begegnet bin, dann hatte ich das Gefühl, ich begegne Jesus persönlich. Der Grund war eben, dass Franz von Sales das, was Jesus heute dem Pharisäer sagte, buchstabengenau ernst nahm und lebte:

„Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit deinem ganzen Denken … du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“

Franz von Sales meinte einmal: „Die Liebe ist der Inbegriff der gesamten Theologie“ (DASal 4,80). Mehr braucht man dazu eigentlich nicht mehr zu sagen. Und ich bin mir sicher, dass ein jeder und eine jede auch sehr gut versteht, was das genau bedeutet.

Selbstverständlich gibt es unterschiedliche Meinungen darüber, was Liebe denn wirklich ist. Aber grundsätzlich weiß ein jeder, eine jede trotzdem, was damit gemeint ist, worum es geht und worum es nicht geht.

Der heilige Franz von Sales liefert uns eine große Anzahl an Verhaltensweisen, die uns helfen, Liebe konkret zu leben. Es sind die „kleinen Tugenden“, die er nicht deshalb „klein“ nennt, weil sie bedeutungslos sind, sondern weil sie in jeder Kleinigkeit des alltäglichen Lebens gelebt werden können. Die Namen dieser kleinen Tugenden sind zum Beispiel: Demut, Sanftmut, Geduld, Gleichmut, Herzlichkeit, Barmherzigkeit, Liebenswürdigkeit, Einfachheit, Höflichkeit, Dankbarkeit, Freude, Frieden, Hoffnung, Zuversicht, Vertrauen, und so weiter und so weiter. All diese kleinen Tugenden sind nichts anderes als konkrete, alltägliche, praktische Umsetzungen für das Hauptgebot unseres Glaubens: die Liebe.

Das wahrscheinlich erstaunlichste ist aber, dass Franz von Sales bei all diesen kleinen Tugenden eine Tugend besonders hervorhebt, nämlich die Frömmigkeit. Wörtlich schreibt er über diese Frömmigkeit:

„Glaube mir, die Frömmigkeit ist das Schönste, was es gibt. Sie ist die Königin der Tugenden, die Vollendung der Liebe.“ (DASal 1,36).

Der Grund dafür ist leicht erklärt: Franz von Sales war, so wie Jesus, davon überzeugt, dass nur die Menschen, die fromm sind, also die, die Gott mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ihrem ganzen Denken lieben, dass nur diese frommen Menschen es auch schaffen die Nächsten zu lieben wie sich selbst.

Ob Jesus Christus oder Franz von Sales mit dieser These oder dieser Überzeugung Recht haben, das darf jede und jeder selbst entscheiden. Ich lade alle ein, heute – am Sonntag, an dem uns das Hauptgebot der Liebe bewusst gemacht wurde – einmal darüber nachzudenken – und auch darüber, was das denn nun für uns, die wir an Christus glauben, konkret alles bedeutet, dass die Liebe das wichtigste ist. Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS