Predigt zum Requiem P. Franz Aregger (Jes 61, 10-11.62, 2-3.4a, Lk 7, 18-23)

Die Freiheit ist der kostbarste Teil des Menschen

Es gibt im alemannischen Sprachstil die Gepflogenheit, dass man am Ende einer wichtigen Aussage, die man trifft, das Wörtchen „oder“ mit einem Fragezeichen dranhängt. Das klingt natürlich im Alemannischen nicht so wie man es schreibt, sondern viel kürzer, nämlich „odr“. Wenn ich an meine Begegnungen mit P. Franz zurückdenke, dann ist mir das in seinem Schweizerischen Dialekt immer besonders aufgefallen. Am Ende einer wichtigen Aussage, kam dann immer das „odr?“ Ich weiß nicht, woher diese Gepflogenheit in diesem Dialekt kommt, aber irgendwie will dieses Fragewörtchen „oder?“ zum Ausdruck bringen: Das, was ich da jetzt behauptet habe, stimmt doch, ODER gibt’s da was einzuwenden? Ich denke, das ist eindeutig und da gibt’s nichts einzuwenden, „odr?“

Wir haben vorhin im Evangelium genau dasselbe von Johannes, dem Täufer, gehört, als er vom Gefängnis aus seine Jünger zu Jesus schickt und ihn fragen lässt: Bist du der, der kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten? Gibt es (also) zu meinem Glauben eine Alternative? Und nach der Antwort Jesu gab es für Johannes keine Oder mehr als Alternative sondern nur mehr ein Oder als Bestätigung! Er ist es, der da kommen soll, „odr?“ Blinde sehen wieder, Lahme gehen und Aussätzige werden rein, „odr?“; Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium verkündet, „odr?“ Das muss doch einleuchten, das ist doch sonnenklar, dass er es ist, der kommen soll und wir auf keinen anderen mehr warten müssen.

Tote stehen auf! Blinde sehen wieder und Lahme gehen wieder! Genau aus diesem Grund sind wir jetzt hier und feiern die hl. Messe für unseren P. Franz, weil es für uns keine Alternative zum Glauben  an die Auferstehung der Toten gibt, und weil wir uns in diesem Glauben stärken und trösten wollen, weil wir das Evangelium hören wollen, dass nicht der Tod das letzte Wort hat, dass die körperlichen Gebrechen und Krankheiten die Seele des Menschen nicht unbedingt krank und gebrechlich machen müssen, dass das Abschiednehmen eines Menschen aus dem irdischen Leben ihm das Tor zum Ewigen Leben eröffnet. P. Franz musste gerade in den letzten Jahren die Gebrechlichkeit und Krankheit seines Körpers sehr intensiv und schmerzhaft erleiden. Es waren die Augen, es war der Rücken, es war das Herz … das alles war ein Mix von Krankheit und Leid, den er geduldig, tapfer und mutig auf sich nahm. Von Arzt zur Therapie und von der Therapie wieder ins Krankenhaus, dann vielleicht wieder ein paar Wochen zuhause, bis dass dieser Kreislauf wieder von vorne begann. P. Franz aber war ein salesianisch durchwobener Ordensmann und Priester. Das hatte seinen Ursprung wohl in seiner Bildungslaufbahn, die er vom Gymnasium an mit den Oblaten des hl. Franz von Sales in Verbindung brachte und denen er dafür sehr dankbar war. Offensichtlich beeindruckte P. Franz die Spiritualität des Franz von Sales und er fühlte, dass sie zu seinem Charakter, zu seiner Offenheit für das Aggiornamento des 2. Vatikanischen Konzils passte. Vielleicht kann eine kleine Auswahl salesianischer Eigenschaften, die er verkörperte, ihn als einen Ordensmann und Priester darstellen, der kein ODER als Alternative brauchte, sondern nur als Bestätigung für den salesianischen Weg der Nachfolge Christi.

Franz verkörperte als Priester und Ordensmann Freiheit: im Denken, in der Theologie, im offenen Zugehen auf die Menschen, egal von welcher Herkunft oder Religion. Die Freiheit ist der kostbarste Teil des Menschen, so Franz von Sales. Seine Seelsorge, seine Verkündigung atmete diese Freiheit. P. Franz war ein umsichtiger, hilfsbereiter und dienender Mensch. Er stand mit den Beinen am Boden der Realität und er hatte eine Aufmerksamkeit für die unscheinbaren Kleinigkeiten, die aber für das Leben in einer Gemeinschaft großen Wert besitzen. Er kümmerte sich um die Blumen und Pflanzen im Haus, machte Besorgungen, ging einkaufen für den Haushalt, erledigte, was andere übersehen hatten. Und wie im Kleinen so auch im Großen. Schließlich hatte P. Franz als Provinzial der Schweizer Ordensprovinz auch vieles zu entscheiden und in Ordnung zu bringen, vor allem dort, wo er die Auflösung der Schweizer Ordensprovinz durchzuführen hatte. Das schaffte er nicht ohne selbst auch in schwere Krisen zu fallen. Er war ein herzlicher Mensch, ein sensibler Mensch, ein optimistischer Mensch. Für solche Menschen ist es hart und unerträglich, Schlussstriche zu setzen, Verantwortung zu übernehmen für unpopuläre Entscheidungen. Das zehrte an seiner Gesundheit. Das hielt ihn dennoch, oder vielleicht gerade deshalb nicht davon ab, sich über die Grenzen der eigenen Provinz für die vielen Missionen des Ordens zu interessieren. Er bereiste alle Kontinente, wo wir Sales-Oblaten Missionen und Niederlassungen haben, er schaffte ein gutes Klima zwischen der damaligen 1. und 3. Welt. Er war damals schon ein Mensch der EINEN Welt, von dem wir heute sprechen. Und was „salesianisch“ auf keinen Fall übersehen werden darf, war sein Humor. P. Franz war kein Mensch fürs Trübsal blasen, obwohl er Gründe dafür gehabt hätte. Aber das war nicht sein Naturell. Fröhlichkeit, eine tiefe Heiterkeit half ihm, das ohne zu jammern und zu klagen anzunehmen, was ihm seine Krankheiten zugemutet haben. „Ein Wort, ein liebenswürdiges Lächeln, genügen oft, um einen niedergeschlagenen Menschen aufzuheitern.“ So sagt es die dem salesianischen Geist verwandte Therese von Liesieux. Und so ein liebenswürdiges Lächeln kommt nur aus dem Menschen mit einem liebenden Herzen – oder?

Vieles mehr kann jeder von uns über unseren P. Franz erzählen. Er hat seinen Lauf vollendet, nun kann er sich von Herzen am Herrn freuen. Er ist es, der ihn nun mit dem Gewand des Heils umkleidet und ihm den Mantel der Gerechtigkeit anlegt, wie es der Prophet Jesaja sagt. Ihn ruft Gott, der Herr nun mit seinem endgültigen Namen. Er wird zu einer prächtigen Krone in der Hand des HERRN, zu einem königlichen Kopfschmuck in der Hand seines Gottes. Dass der Herr nun ewiges Gefallen an ihm hat, darum beten wir jetzt in dieser Messe. Amen

P. Provinzial Thomas Vanek OSFS, Kirche Maria Schmerzen, Kaasgraben, Wien – 12.  Oktober 2020