Predigt zum 2. Sonntag der Osterzeit (Joh 20,19-31)

Zweifeln ist erlaubt

Der Zweifel ist der Bruder des Glaubens. Das wissen wir spätestens seit dem Bericht über das Verhalten des Apostel Thomas im Abendmahlssaal nach der Auferstehung Jesu, den wir gerade gehört haben.

Und am Verhalten Jesu erkennen wir, dass Gott auch jene ernst nimmt, die nicht glauben können. Das liegt im Wesen seiner Liebe und Barmherzigkeit.

Vor zehn Tagen, in der Karwoche, wurde ich zu einem Sterbenden gerufen. Dort stellte ich fest, dass der Wunsch nach einem Priester, der die Krankensalbung spendet, von der Ehefrau kam, der Sterbende selbst aber nichts davon wissen wollte. Es war eine völlig verrückte Situation. Die Frau sagte, spenden Sie die Krankensalbung, damit er nicht in die Hölle kommt … der Sterbende sagte immer wieder: „Nein, ich will nicht. Ich glaube nicht, gehen Sie weg.“ Und ich stand mitten drinnen und wusste nicht, was ich tun sollte. Gut, dass es da für mich den heiligen Franz von Sales gibt. Er schrieb einmal: „Gott zieht uns nicht mit eisernen Fesseln an sich …, sondern er wirbt um uns, er lockt uns liebevoll“ (DASal 3,129). Gott zwingt uns nicht, aber er sehnt sich danach, dass wir Ja zu ihm sagen und er tut alles dafür, aber er achtet unsere freie Entscheidung … Und genau das habe ich dann auch gesagt. Ich nehme den Willen des Sterbenden ernst und werde keine Krankensalbung spenden, aber selbstverständlich werde ich für den Sterbenden beten, in der Hoffnung, dass auch er in der Liebe und Barmherzigkeit Gottes aufgefangen wird.

Die mit voller Überzeugung Glaubenden waren und sind eine Minderheit. Selbst unter jenen, die sich regelmäßig und aktiv am Leben der Kirche beteiligen, gibt es viele wie der Apostel Thomas. Sie gehören zwar zum innersten Kreis der Jüngerinnen und Jünger, und trotzdem können sie nicht zweifelsfrei zu allem Ja sagen. Es bleiben Fragezeichen, und diese Fragezeichen dürfen sein und sind nur allzu verständlich. Die Unbegreiflichkeit Gottes ist einfach zu groß, um sie ganz verstehen und immer gleich zweifelsfrei eine Antwort geben zu können. So formuliert es auch der heilige Franz von Sales: Gott wäre „sehr armselig, würden wir kleine Geister“ (DASal 3,225) ihn immer sofort verstehen. Wichtig ist daher, dass wir angesichts des unbegreiflichen Gottes das Fragen nicht aufhören, sondern sie aussprechen, aushalten und Gott hinlegen, wie der Apostel Thomas, der angesichts der Auferstehung sagte: „Wenn ich nicht das Mal der Nägel an seinen Händen sehe und wenn ich meinen Finger nicht in das Mal der Nägel und meine Hand nicht an seine Seite lege, glaube ich nicht.“ Ein wichtiges Gebet in solchen Situationen lautet: „Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben“ (Mk 9,24).

Ich bin mir sicher, dass alle, die ihren Zweifel Gott hinhalten und darin nicht aufgeben, irgendwann auch ein Thomaserlebnis erfahren werden: die Begegnung mit den Wunden Jesu.

Das ist ja auch interessant: Jesus zeigt sich dem zweifelnden Thomas nicht in seiner Macht und Herrlichkeit. Er kommt nicht ein weiteres Mal in den Abendmahlssaal, um Thomas wegen dessen Zweifels zu beschimpfen, nein, er kommt wieder mit dem Friedensgruß und er kommt mit seinen Wunden. Jesus verurteilt den Zweifelnden nicht, sondern zeigt ihm sein Verständnis: Komm, greif mich an, berühre meine Wunden. „Streck deinen Finger hierher aus und sieh meine Hände! Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite – und dann sei nicht ungläubig, sondern gläubig!“

Jeder Zweifel, der durch die Unbegreiflichkeit Gottes ausgelöst wird, wird irgendwann, wenn er ausgehalten und Gott hingehalten wird, nicht missachtet oder verurteilt, sondern aufgelöst werden. Aus der Unbegreiflichkeit Gottes wird der barmherzige, liebende Gott, der verwundete Gott, ein Gott zum Angreifen.

Wer glauben kann, ohne zu sehen, der hat Glück … der ist selig. Es geht ihm besser, aber … er ist deshalb nicht besser als jene, die das nicht können. Wer das nicht kann, darf immer auf die Barmherzigkeit Gottes hoffen, die sich an ihm offenbaren wird. Das ist die Lehre, die wir aus dem heutigen Evangelium in unseren eigenen Lebens- und Glaubensalltag mitnehmen können.

Der Zweifel ist der Bruder des Glaubens, weil Gott eben der Unbegreifliche ist. Mein Zweifel ist jedoch aufgehoben in Gottes barmherziger Liebe bis es auch mir gelingt, irgendwann zweifelsfrei sagen zu können: „Mein Herr und mein Gott“. Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS