P. Siegfried Schöndorfer

Predigt beim Requiem von Pater Siegfried Schöndorfer (Jes 25, 6-10a; Mt 6, 19-22.25-27.34)

Seine Lebensfreude ist nicht gestorben

Er selbst hätte Frühmorgens beim Aufstehen wohl nicht damit gerechnet, dass es nur mehr einige wenige Minuten sind, bis sein Leben vollendet sein würde. Die Treppe von seiner Wohnung hinunter hat er nicht mehr geschafft. Wir Oblaten des hl. Franz von Sales haben es alle im Noviziat gelernt, uns täglich auf den Tod vorzubereiten. Jeden Tag sollen wir mit dem Gedanken an den Tod und an die Auferstehung beginnen – so rät uns unser geistlicher Vater Franz von Sales. „Der Schlaf ist ein Bild des Todes, das Erwachen ein Bild der Auferstehung. Auf Ihr Toten, erhebt euch und kommt zum Gericht. Ich glaube, dass mein Erlöser lebt und ich am letzten Tage auferstehen werde. An jenem Tag, o mein Gott, wirst du mich rufen, und ich werde dir antworten. Dem Werk deiner Hände wirst du deine Rechte reichen; alle meine Schritte hast du ja gezählt.“  Obwohl diese Morgengedanken sicher für das Wachsen einer richtigen inneren Haltung zum Sterben sehr nützlich sind, ist der Ernstfall eines Sekundentodes –  wie bei unserem P. Siegfried – dann doch noch einmal etwas Anderes als das tägliche Denken an den Tod. Es schockiert uns jedes Mal aufs Neue, wenn Menschen plötzlich, völlig unerwartet und ohne irgendwelche Vorzeichen aus unserer Mitte gerissen werden. Es schockiert UNS besonders deshalb, weil wir ohne Vorankündigung, ohne Planung, ohne Alternative jetzt auf einmal ohne diesen Menschen zurechtkommen müssen. Dabei ist unser P. Siegfried nicht der erste und nicht der letzte, der auf diese Art und Weise vom irdischen Leben Abschied nahm. Vielleicht hat er sich aber bereits auf diesen Moment viel intensiver vorbereitet als wir denken. Allein die vielen Begräbnisse, die er als Pfarrer gehalten hat, müssen ihn mit den unterschiedlichsten Arten des Sterbens vertraut gemacht haben. Was UNS jetzt (heute) in dieser Konfrontation mit dem Unberechenbaren bleibt, ist, die Beziehung lebendig zu halten, die wir zu diesem P. Schöndorfer, zu P. Siegfried oder zum „Siegi“ hatten – so als wäre er noch immer unter uns … oder wie es einmal wer geschrieben hat: Er ist ja nur auf der anderen Seite der Straße!

Seine Lebensfreude, sein Humor, seine innere Leichtigkeit, seine lockeren Kommentare und Bemerkungen, sein Lachen, die Stimmung, die er immer zu lockern und zu heben vermochte … sind jetzt nicht auf einmal weg – sind nicht gestorben – P. Siegfried ist ein Stück von uns geworden, weil er uns begegnet ist, weil er sich auf uns eingelassen hat, weil für ihn überall im Leben ein mitmenschliches Netzwerk ganz wichtig war. Das gab ihm Heimat, da fühlte er sich zuhause und geborgen, da konnte er seine Fähigkeiten zur Entfaltung bringen, da konnte er seine Persönlichkeit zum Klingen bringen. Seine Lebensquelle war die Kontaktfreudigkeit, war das Miteinander. Das galt für seine Entscheidung zum Ordensleben genauso wie für seine Auffassung von Seelsorge und Liturgie. Auf der Suche nach dem menschlichen Herzen – das war der Schlüssel zu seiner Berufung als Ordensmann und als Priester. Denn „wenn du das Herz des Menschen gewonnen hast, dann hast du den ganzen Menschen gewonnen“, gibt uns Franz von Sales als christliche Lebenskultur mit. Daher war unser P. Siegi auch für vieles zu haben und einzusetzen, auch wenn er sich selbst das oft gar nicht zutraute. Zunächst als Erzieher und später als Internatsleiter im Konvikt St. Josef, in dem zu seiner Zeit bis über 170 Jugendliche waren … er war ein dynamischer und lebensfroher Pädagoge, ein verantwortungsvoller und aufmerksamer Heimleiter, dem trotz der Verantwortung diese Rolle Freude machte. Er war ein geschickter und kluger Ökonom, er hatte Ordnung in seinem Büro, er lernte sich viele Fähigkeiten selbst, hatte Interesse am Tagesgeschehen in Politik und Sport – kurzum: er lebte am liebsten im Jetzt und Heute, weil ihn die Beziehungen zu den Menschen herausforderten, im Hier und Jetzt zu leben und sich nicht auf ein „Früher“ oder „Damals“ oder ein „Irgendwann“ zurückzuziehen. Das war seine Stärke! Das hatte er auch im Ordensleben vom hl. Franz von Sales gelernt, der ja gesagt hat: Was mich alleine kümmert, ist das Hier, das Jetzt und das Heute, das der Gnade Gottes gehört und von ihr gelenkt wird. Daher vermittelte er uns auch so etwas, wie es Jesus in seiner Bergpredigt gemeint hat: Sammelt euch nicht Schätze hier auf der Erde … sammelt sie euch im Himmel. Sein Schatz waren die Menschen, daher war auch sein Herz bei den Menschen – viele Jahre bei der Jugend, und in den letzten Jahren viele Jahre bei den Alten und Kranken. Es war eine gewisse innere Sorglosigkeit, die er ausstrahlte, weil ihn das Materielle nicht wirklich beeindruckte, obwohl er ein Ästhet war (allein das Aussehen dieser Kirche beweist uns das!) Auch wenn Veränderungen von Lebensorten und Aufgaben nicht leicht für ihn waren, dann nicht, weil er an Dingen hing, sondern weil er an Menschen hing, die ihn mochten, die ihn schätzten und ihm das Gefühl des Angenommenseins vermittelten.

So wurde aus dem Vollblutpädagogen, der mitreißen und begeistern konnte, ein Vollblutpfarrer, der wiederum überzeugen und beeindrucken konnte. Ich höre ihn heute noch sagen: Pfarrseelsorge – das kann ich nicht, niemals! Und er ging trotzdem – damals (1986) von Ried nach Wien. Von der Kleinstadt, die er kannte wie seine Westentasche, in den 15. Bezirk, in das völlig Fremde und Unbekannte Neuland der Großstadt! „Das Auge gibt dem Köper Licht“ sagt Jesus. „Wenn dein Auge gesund ist, dann wird dein ganzer Körper hell sein.“ Vielleicht kann man es mit einem gesunden Auge vergleichen, was P. Siegi hatte, und was ihm Licht gab, auch wenn er sich vor neuen Herausforderungen scheute. Das Licht in seinem Auge war der Optimismus, war die Heiterkeit, war wohl auch die Erfahrung, von Gott geliebt zu sein und sich diesem Gott anvertrauen zu können wie einem Gefährten, der mit einem durchs Leben geht. Vielleicht gerade deshalb ist die Art und Weise, wie er von uns gegangen ist, gar nicht so überraschend, weil er sich auf seinen Gott hin immer mehr loslassen konnte. – So wurde die Pfarrseelsorge für seine zweite Lebenshälfte genau das, was die Internatswelt für seine erste war. Seine Liebe zu einer würdigen und schönen Liturgie, die gut vorbereitet und durchdacht war, die vielen Besuche bei den Pfarrmitgliedern zu den verschiedensten Anlässen, die Feier der verschiedenen Feste … er lebte MIT den Menschen.

In dem adventlichen Bild des Propheten Jesaja vom Festmahl auf dem Berg Zion spiegelt sich etwas von dem wieder, was unseren P. Siegfried ausmachte. Er liebte die feinen Speisen genauso wie die erlesenen Weine. Er konnte genießen, daher wurde er auch nie ungenießbar. Das Festmahl auf dem Berg Zion, ist ein Bild der Verheißung, das mitten aus unserem irdischen Leben genommen ist. Denn wir alle wissen, wie großartig und wie wunderbar ein solches, kulinarisches Bankett ist, bei dem sich die Tische biegen und bei dem man in großer Feierstimmung ist. Gerade mit diesem Bild will uns der Prophet ermutigen und trösten: Die Decke und die Hülle, die die Trauer über uns gebreitet hat, will Gott zerreißen und uns den Blick frei machen für die Herrlichkeit, die auf uns wartet, wenn wir wie unser P. Siegfried von Gott erwartet und von ihm in die Arme geschlossen werden.  Dann werden wir in der ganzen Bandbreite erfahren, was damit gemeint ist, wenn es heißt: Er beseitigt den Tod für immer. Er wischt die Tränen ab von jedem Gesicht und nimmt von seinem Volk die Schande. – Der Weg dorthin ist unser Leben, ob lang oder kurz, ob langsam zu Ende gehend oder plötzlich. Vorerst müssen wir mit den Worten Jesu vorliebnehmen: „Sorgt euch also nicht um morgen, denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen. Jeder Tag hat genug eigene Plage.“ Aber vertraut darauf, dass die Gnade in Euch, wie bei unserem Siegi, Großes hervorbringt. Amen

P. Thomas Vanek OSFS (Prambachkirchen, 16.12.2016)