Predigt zum Weihnachtsfest (Lk 2,1-14)

Gott ist ganz nah bei mir

Die Advent- und Weihnachtszeit spielte im Leben des heiligen Franz von Sales eine ganz besondere Rolle. Sowohl seine Bischofsweihe und als auch seine Priesterweihe fanden im Advent statt. Seine erste Heilige Messe feierte er an Weihnachten. Er selbst sagte einmal, dass das Schönste, was er je in seinem Leben erlebte, die Feier der Christmette in einer Kirche gewesen sei, in der 70 Jahre lang keine Eucharistie mehr gefeiert worden war. Und auch sein Sterben und sein Tod fielen in die Weihnachtszeit. Seine letzte von ihm gehaltene Predigt ist eine Weihnachtspredigt.

Warum war für Franz von Sales dieses Fest so bedeutsam? Er war eben davon überzeugt, dass wir Menschen an diesem Fest auf einzigartige Weise erkennen und erfahren können, dass Gott den Menschen wirklich liebt, und zwar so sehr, dass er von Anfang an geplant hat, Mensch zu werden, um dem Menschen wirklich ganz nahe zu sein, einer von uns.

Seit vielen Jahren kenne ich den mittlerweile 18-jährigen Michael. Er hat Trisomie 21, also das so genannte Down-Syndrom. Wir kennen uns gut und uns verbindet die gemeinsame Begeisterung für den kleinen grünen Drachen Tabaluga und die Musik von Peter Maffay. Wir waren auch schon ein paar Mal gemeinsam auf einem Konzert. Vor gut einem Jahr bekam Michael ein bemaltes Holzherz geschenkt. Er kam dann zu mir und bat mich, dass ich dieses Herz segne, was ich dann natürlich auch gemacht habe. Vor einer Woche hat er mir nun eine Weihnachtskarte geschrieben mit einem schönen Foto von ihm und einem Satz, der mir persönlich in diesem Jahr deutlich gemacht hat, was Weihnachten, was das Fest der Menschwerdung Gottes bedeutet, und warum wir dieses Fest überhaupt feiern. Michael schrieb nämlich: „Seit du dieses Herz gesegnet hast, weiß ich: Mir kann nichts mehr passieren, denn Gott ist jetzt immer ganz nah bei mir!“

Genau das und nichts anderes feiern wir heute in der Heiligen Nacht: „Gott ist jetzt ganz nah bei mir“. Oder mit den Worten des heutigen Evangeliums gesprochen: „Ich verkünde euch eine große Freude: heute ist euch der Retter geboren, der Messias, der Herr.“

Manchmal braucht es eben einen Menschen mit Behinderung, damit wir unsere großen und auch sehr wichtigen theologischen Glaubenswahrheiten auf einfache und klare Weise wieder begreifen: Weihnachten bedeutet: „Gott ist ganz nah bei mir!“

Ich glaube, das hat auch Franz von Sales gespürt, wenn er, der große Bischof, Mystiker und Kirchenlehrer, an das Geheimnis der Heiligen Nacht, das Wunder und die Unbegreiflichkeit der Menschwerdung Gottes dachte: „Gott ist ganz nah bei mir!“

Ich wünsche uns allen, dass wir genau das in unserem Leben immer wieder einmal spüren dürfen: die Nähe Gottes, seine Liebe ganz nah bei uns. Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS