Predigt beim Requiem von P. Ludwig Fröhlich (2 Kor 5, 1.6-7.9a.10; Mt 25, 31-40)

Sein irdisches Zelt wurde abgebrochen

Es war bei P. Ludwig wirklich so, wie es der hl. Paulus an die Korinther schreibt: sein irdisches Zelt wurde abgebrochen, schnell und ohne Vorwarnung – auf sein Leben übertragen: es ist abgerissen wie ein Faden. Das ist jedes Mal, wenn ein Mensch so unvorhergesehen von uns geht, wie ein Einbruch, ein Einbruch in unsere Wirklichkeit – oder wie ein Einbruch in das Haus unserer Ordnung und Planung. Wenn ein Lebenszelt so spontan abgerissen wird, dann sitzt das wie ein Schock in uns. Am Vortag seines Heimganges hat P. Ludwig noch auf der Leiter im Klostergarten die Hecken geschnitten, mit den Schwestern gesprochen, er hat noch mit seiner Schwägerin telefoniert – und am nächsten Morgen: da ist er auf einmal nicht mehr. Der Tod kam wie ein Dieb, der uns unseren Mitbruder und Verwandten wortwörtlich „gestohlen“ hat. Wir stehen da wie Bestohlene. Als ich P. Ludwigs Zimmer betrat, war alles so, als ob er jeden Augenblick hereinkäme und weiterarbeiten würde. Ich glaube, er beschäftigte sich gerade mit dem Weltmissionssonntag und den Unterlagen für den Gottesdienst. Er war nicht mehr da – nur mehr sein Leichnam lag, von den Schwestern liebevoll in sein Bett gelegt, im Schlafzimmer.
Es war ein herrlicher Herbsttag im Wienerwald. Das Gold der Blätter zeigte sich von seiner schönsten Farbe. Das Gold der Blätter erinnerte mich an die Wandlung, die sich im Tod vollzieht und an die wir glauben. Die schönste Farbpracht zeigt sich in den Blättern der Bäume, wenn sie absterben, wenn sie sich für den Winter bereit machen, ihren Lebenssaft in die Wurzeln zurückziehen und dann wie tot aussehen, aber dennoch den Keim des Lebens in sich nicht verlieren. Hermann Hesse nennt es: Wohl an denn, Herz, nimm Abschied und gesunde.

Am Schreibtisch von P. Ludwig fand ich einen Zettel, auf dem er ein Zitat von Papst Johannes Paul II. mit der Hand niedergeschrieben hatte. Dieses Zitat muss ihn beeindruckt haben und stammt aus einer Ansprache, die der Papst Johannes Paul II. 1980 in Köln gehalten hatte: „Man kann nicht auf Probe leben, man kann nicht auf Probe sterben, man kann nicht auf Probe lieben, auf Probe einen Menschen annehmen.“ Dieses Blatt Papier habe ich mir als Andenken an P. Ludwig mitgenommen. Gerade in Anbetracht seines so plötzlichen Todes bekommt es noch einmal eine viel stärkere Ausdruckskraft. Auf Probe kann man nicht leben, nicht sterben, nicht lieben und auch nicht zusammenleben! Auf Probe geht nichts … alles, was man lebt und liebt, und vor allem der Augenblick des Todes ist einmalig und unwiederholbar, sterben kann man nicht probieren. Ich glaube, P. Ludwig hat mit der Haltung eines Lebens auf Probe nichts anfangen können. Was er tat, das tat er authentisch und klar, bei seiner Meinung gab es nicht viel Hin und Her und wenig Kompromisse, in seinem Glauben und in seiner Theologie war er verwurzelt im Glauben und im Lehramt der katholischen Kirche, der er sich und sein ganzes Tun und Denken gewidmet hat. Als Seelsorger in den verschiedenen Aufgaben, die er als Ordenspriester übernommen hatte, war für ihn dieses kirchliche Fundament ganz wichtig. Als er 1958 zum Priester geweiht wurde, da war das 2. Vatikanische Konzil bereits in Geburtswehen. Auch wenn man es sich noch nicht vorstellen konnte, lag bereits das Aggiornamento Johannes XXIII. in der Luft. Das war für alle Priester, die noch nach der alten Tradition ausgebildet wurden, eine enorme Herausforderung, sich auf das Neue einzustellen, die Wandlung des Konzils sozusagen durch sich selbst hindurchgehen zu lassen, um als Priester authentisch und echt zu wirken. P. Ludwig ist dieser Wandel sicher nicht leicht gefallen. Fragen, vor allem Glaubensfragen, nicht klar und eindeutig zu beantworten, sondern auch manches offen zu lassen, war für ihn schwierig. Daher konnte er sich auch mit neuen Denkmustern in der Theologie teilweise nicht wirklich anfreunden. Was ihn allerdings durch allen Wandel in der Kirche, durch alle Herausforderungen und seiner Meinung nach bedenklichen Entwicklungen durchtrug, war seine menschliche Erdung. Ich denke, das hat er von seiner Heimat, von seiner Familie überall hin mitgenommen, wohin auch immer er als Priester und Ordensmann gesandt wurde. P. Ludwig war ein sehr bescheidener Mensch, aus materiellen Werten machte er sich wenig. Sein Herz gehörte den Menschen, die ihm als Priester anvertraut waren, und darüber hinaus noch viele Notleidende. Um seine schwerkranke Nichte kümmerte er sich sehr, seine Bereitschaft zu priesterlichen Diensten in seiner Urlaubszeit war selbstverständlich. Jährlich unterstützte er ein Sozialprojekt in Afrika und motivierte auch die Menschen zu Hilfsaktionen. Er lebte nicht auf Probe und überlegte nicht lange, ob und wie er als Priester gefragt ist. Er tat, was ihm die Stunde gebot – und er zeigte in den vielen örtlichen Veränderungen, die er in seinem Ordensleben durchmachte, wohl genügend Flexibilität und Verfügbarkeit, wobei ihm sicher nicht jede dieser Veränderungen willkommen war. Aber als Ordensleute sind wir eben spirituelle Nomaden in irdischen Zelten. Was Jesus im Gleichnis vom Weltgericht anspricht, scheint mir sehr passend für P. Ludwigs Einstellung zu Leben und zu seiner Berufung zu sein. Nicht lange fragen, für wen ich was tue und für wen ich nichts tue, sondern wo nach Hilfe, nach Liebe, nach dem priesterlichen Dienst gefragt wurde, da war er zur Stelle. Etwas für die Menschen tun, heißt, etwas für Christus tun. Das alles aber nicht aus Zwang, sondern aus Liebe und in Freiheit, wie das Franz von Sales uns in unsere Ordensregel schreibt. Wenn man vielleicht P. Ludwig dieses Freiheitsbedürfnis und -denken äußerlich nicht so angesehen hat, dann konnte man es trotzdem spüren, wenn man ihn persönlich besser kannte. Er war gerne mit Freunden beisammen, er hatte Freude am Reisen, am Fotografieren, er pflegte seine Gesundheit und saß auch gerne in „fröhlicher“ Runde. Ich wünsche ihm, dass er dieses Reich jetzt in Besitz nehmen kann, an das er geglaubt hat, das er verkündigt hat, für das er sich eingesetzt hat. In diesem Reich sind die zum Festmahl mit Christus geladen, die gespürt haben, worauf es ankommt, wenn er kommt. Und gekommen ist Christus für P. Ludwig sehr schnell. Wir wollen daran glauben, dass er, der dem Herrn gefallen wollte, jetzt den Lohn Christi für all das Gute, das er in seinem irdischen Leben getan hat, erhält. Amen

P. Provinzial Thomas OSFS (Eichstätt, 26.10.2012)