Predigt beim Requiem P. Paul Lackner (1 Kor 9, 23-27; Joh 20, 1-9)

Eine überdurchschnittlich lange Lebenszeit

„Oudépo gar edeisan ten graphen hoti die auton ek nekron anastenai.“ So heißt der letzte Satz des soeben gehörten Osterevangeliums in der Originalsprache, die unser lieber Verstorbener viele Jahre als Griechischlehrer in unseren Spätberufenenschulen unterrichtet hat. „Denn sie wussten noch nicht aus der Schrift, dass er von den Toten auferstehen musste.“ Gott schenkte P. Lackner eine sehr lange, überdurchschnittlich lange Lebenszeit, um das zu entdecken und zu erkennen, was die Jünger am Ostermorgen noch nicht wussten. Zunächst im Studium der hl. Schrift, der Philosophie und Theologie, in 83 Jahren Ordensleben, in fast 80 Jahren Priesterleben hatte P. Lackner von allen Oblaten des hl. Franz von Sales, die bisher lebten, die einmalige Gelegenheit, fast 104 Jahre seinen Glauben an die Auferstehung der Toten reifen zu lassen, zu prüfen und zu hinterfragen, ihn schließlich zu festigen, um nun zu schauen und selbst zu wissen, woran er geglaubt hat: Christus, den Auferstandenen zu begegnen. Auch den Jüngern war das am Ostermorgen noch nicht gegönnt, denn sie gingen, wie es heißt, wieder nach Hause zurück, letztlich nur mit Wahrnehmungen, die noch alles offen ließen: ein leeres Grab, Leinenbinden eines Leichnams, daneben ein Schweißtuch zusammengefaltet, das an die Qual der Marter erinnert. Den Auferstandenen selbst aber sahen sie nicht; es blieb für Johannes und Petrus auch noch am Ostermorgen eine Anfrage an sie, ob sie den Worten ihres Herrn und Meisters glaubten, solange er noch unter ihnen lebte, oder ob mit dem Scheitern am Kreuz auch für sie alles zusammenbrach. P. Lackner hatte die Gnade, bis auf die letzten 3 Wochen, die durch einen Schlaganfall gekennzeichnet waren, sein Leben bei vollem Bewusstsein wachsam und klug und – was P. Lackner so einmalig machte – mit einem gewissen Schalk im Nacken zu leben. Vielleicht waren ihm diese Eigenschaften schon in seiner Kindheit vermittelt worden, die er in Wien verbrachte. Es ist zulange her, als dass irgendjemand von uns wissen kann, woher er das hatte. Aber ein Mensch, der beide Weltkriege durchmachte, dazwischen die vielen Zeiten des Umbruchs, der Angst und der Not, musste sich gewisse Überlebensstrategien aneignen, um nicht wie viele, viele andere seiner Zeitgenossen unter die Räder zu kommen, regelrecht im Wahnsinn von Terror und Krieg vernichtet zu werden. Schließlich war P. Lackner einer der ersten Schüler unserer Schulen und Internate in Dachsberg und Ried, die ihm – dem auffallend intelligenten Schüler – die Wege in die Ordensgemeinschaft von uns Sales-Oblaten öffneten. Schon als 24 Jähriger wurde er zum Priester geweiht, und es ist auffallend: Immer wieder, wenn mir Fotos aus den 1930er Jahren in die Hände fallen, dann sieht man P. Lackner drauf. Er muss sehr gegenwärtig gewesen sein in unserer Ordensprovinz, sehr umtriebig und sehr engagiert. Der erst vor ein paar Wochen ihm in die Ewigkeit vorausgegangene zweitälteste (93jährige) Mitbruder unserer Provinz, P. Köckeis, hatte P. Lackner 1939 bereits als Novizenmeister. Eines kann man bei all den Recherchen über sein Leben feststellen: P. Lackner war trotz der vielen Rückschläge und Nöte, die Menschen im vorigen Jahrhundert auszuhalten hatten, ein typischer Vertreter einer Aufbaugeneration, einer Gründergeneration. Er erlebte ein anderes Bild von Kirche als wir heute. Die Nachfrage war groß – nach dem Ordens- und Priesterleben. Es war bestimmt keine einfache, aber eine erfüllende Zeit, wenn man sah, wie die Zahl der Mitbrüder wuchs und die Räumlichkeiten für Schüler und Ordensmitglieder immer wieder erweitert (ausgebaut) werden mussten. Was allerdings fehlte, waren die Mittel. Und mit vielen Ideen und mit viel Fleiß arbeitete P. Lackner daran, den Arbeitern für die Ernte auch genügend Mittel, geistig als auch materiell, zur Verfügung zu stellen. Und man erzählt sich so manche Anekdote über ihn und seinen Schalk im Nacken, den er gekonnt herausließ, wann es darum ging, den Menschen die Lebensbedingungen nicht zu erschweren, sondern zu erleichtern. Wahrscheinlich kann so mancher Griechisch- oder Lateinschüler da (s)eine Geschichte mit P. Lackner erzählen. Schließlich leitete P. Lackner die Österreichisch-Süddeutsche Ordensprovinz der Sales-Oblaten 12 Jahre lang. Im Archiv kam mir zufällig ein Brief in die Hände, den P. Lackner als Provinzial an einen Mitbruder geschrieben hatte, um ihn von einem Ordenshaus in ein anderes zu versetzen. Auch wenn der Leitungsstil in Sachen Gehorsam in den 1950er-Jahren ein anderer als heute war, so bemerkte ich, mit wie viel Wohlwollen und positiver Überzeugungskunst P. Lackner es dem Mitbruder schmackhaft zu machen versuchte, eine neue Aufgabe zu übernehmen. Das hat er bestimmt von Franz von Sales gelernt: dass nämlich ein Löffel Honig mehr bewirkt das ein Fass voll Essig. Der hl. Paulus, der Namenspatron unseres lieben Verstorbenen, schreibt es an die Korinther: „Allen bin ich alles geworden, um auf alle Fälle einige zu retten. Alles aber tue ich um des Evangeliums willen.“ Heute stehen wir vor anderen Herausforderungen in der Kirche, die P. Lackner in den letzten Jahrzehnten seines Alterssitzes in Mallersdorf wahrscheinlich nicht mehr so existentiell erlebt hat wie wir. Eine Zeit, in der die Priesterseminare mangels Seminaristen zusammengelegt werden, der Ordensnachwuchs ausbleibt, die Kirche in Mitteleuropa viele Gesellschaftsschichten wie z.B. die Akademiker und die Jugend zu verlieren scheint, lässt uns fragen, was wir aus der Lebensweise, der Klugheit und vielleicht auch der Gewitztheit eines P. Lackner für unsere Sorgen und Probleme heute herüberretten oder gar lernen könnten. Die Lesung aus dem 1. Korintherbrief sowie auch die Ostererzählung aus dem Johannesevangelium treffen sich da mit einer Einstellung unseres lieben Verstorbenen: Paulus gebraucht das Bild von den Läufern im antiken Stadion. Alle laufen, aber nur einer gewinnt. Und auch Petrus und Johannes laufen zum Grab, sie sind wie P. Lackner Morgensportler. Sie sind dynamisch, drahtig, sie sind nicht bequem und träge, sondern sie laufen dorthin, sie sind rege und wendig, weil sie interessierte Menschen sind, vielleicht auch neugierig, hungrig, nicht zufrieden mit dem Durchschnitt, sondern immer ein bisschen mehr wollen. Fast wie ein Wettlauf von Läufern im Stadion scheint dieser österliche Morgenlauf der beiden Apostel zum Grab. Und wenn auch Johannes gewinnt, so lässt er doch dem Petrus den Vortritt. Neben dieser theologisch interpretierbaren Geste könnte man trotzdem sagen: Sie laufen so, wie Paulus es schreibt, nämlich, dass sie den Siegespreis gewinnen. P. Lackner war ein Athlet, geistig und leiblich, er lief nie ziellos, er war asketisch und in seiner Askese authentisch. Nun hat er den Siegespreis gewonnen, er darf an der Erfüllung der Verheißung teilnehmen, von der er sich sein langes Gottgeweihtes Leben hat leiten lassen. Das leere Grab ist für ihn kein Fragezeichen mehr sondern der Beweis, dass Jesus lebt. Dass P. Lackner nun den Auferstandenen begegnet und mit ihm am Gastmahl des ewigen Lebens zu Tisch sitzt, daran wollen wir glauben und uns in diesem Glauben auch gegenseitig stark machen. Amen.

P. Provinzial Thomas OSFS (Eichstätt, 2.4.2013)