Predigt beim Requiem P. Hubert Czinczoll (Jes 42,1-9; Lk 12, 22-25.29-31.35-40)

Zusammengehören – Zusammensein

Zunächst möchte ich Dir, lieber Friedhelm, hier vor dem Sarg, in dem dein toter Zwillingsbruder Hubert liegt, ein Wort des Mitgefühls schenken. Wir alle wissen, dass Zwillinge noch einmal ganz anders für einander denken und fühlen als Geschwister, die eben alleine auf die Welt kommen. Mir ist das beim aufmerksamen Lesen der Parte, die du deinem Zwillingsbruder Hubert als würdigenden Nachruf gewidmet hast, ganz stark bewusst geworden. Der Aspekt des Zusammengehörens, des Zusammenseins, des gemeinsamen Weges, ja sogar der gemeinsamen Berufung ins Ordensleben und zum Priestertum hat dich und Hubert bis auf die 14 Jahre, in denen ihr nicht in der gleichen Kommunität beisammen wart, in einer besonderen Weise verbunden. Auch wenn man durchaus Eure Unterschiede klar und deutlich feststellen konnte, so bleibt der Eindruck, dass du mehr als einen Bruder verloren hast, vielleicht ein zweites Ich – ein „alter ego“, oder einen Wesensteil von dir. Für uns ist das so wahrscheinlich gar nicht nachvollziehbar, auch wenn Zwillinge keine Seltenheit sind. Euch aber haben nicht die Wege eurer Lebensentscheidungen als Erwachsene getrennt, sondern vielleicht sogar noch mehr zusammengeführt – im Teilen des geistlichen Lebens innerhalb unseres Ordens sowie auch im gleichen Tätigkeitsfeld: im Unterrichten und im Begleiten von jungen Menschen auf der Suche nach ihrer Berufung, ihrer Identität. In dieser Seite eurer Berufung zum Lehrer und Erzieher seid ihr beide wohl auch Zwillinge gewesen. So ist Hubert dir in das ewige Leben vorausgegangen – und ich hoffe, dass du trotz der Trauer über den so schnellen Heimgang von Hubert dennoch seinen Weg in die Herrlichkeit Gottes als Zwillingsbruder vielleicht auch intensiver mitvollziehen kannst und du den Heimgang von Hubert schon jetzt als den größten Feiertag seiner Seele mitempfinden kannst, weil jetzt ist Hubert bei dem, der ihn am meisten liebt. Schließlich hast du diesen Gedanken unseres Franz von Sales über alle deine Gedanken zum Abschied von Hubert gesetzt.
Mir ist das erste Lied vom Gottesknecht aus dem Deuterojesaja eingefallen, als ich P. Hubert noch einmal mit meinem inneren Auge betrachtete. Gottes Gnade und Erwählung war bei P. Hubert ganz deutlich zu sehen. Aber er war kein Herr, er legte keinen Wert auf Titel oder Auszeichnungen, er war ein Diener, ein Knecht, obwohl jeder von uns weiß, dass er aufgrund seines Wissens und seiner Kompetenz sehr wohl ganz oben stand. Genau das aber zeichnet sein Leben aus. Seine Erwählung und Berufung ging nicht in die spektakuläre Richtung, sondern in die dienende, seine Erwählung war das Dasein für den Menschen. Für ihn galt es, den Menschen, vor allem die jungen Menschen zu fördern, gleich wie viel an Talenten vorhanden waren. Das genknickte Rohr zerbricht er nicht und den glimmenden Docht löscht er nicht aus. Er war ein Freund der Menschen, und ganz salesianisch geprägt,  ging es ihm nicht um die Quantität der Begabungen, sondern um ihre Qualität, die er fördern und entwickeln wollte. Bei seiner stillen und zurückhaltenden Art vermochte man als Außenstehender nicht zu kapieren, wie er das machte. Ich selbst habe P. Hubert viele Jahre meines Ordenslebens als schweigenden Mitbruder erlebt, aber der Gottesknecht muss nicht schreien, nicht viele Worte machen, nicht lärmen und auf der Straße seine Stimme erschallen lassen – und doch fördert er das Wachstum der Menschen, ihre Selbständigkeit und ihre Verantwortung. In den letzten Jahren – nicht zuletzt aufgrund meiner derzeitigen Aufgabe in der Ordensprovinz – hatte ich die Gelegenheit, P. Hubert etwas näher kennenzulernen – ich besuchte ihn im Unterricht oder in den sogenannten Gruppenstunden in Fockenfeld. Für mich war er der, der nicht müde wurde, für die Sache Gottes einzutreten, die das Recht auf der Erde begründen will. Ich bewunderte seine vermittelnde Art im Diskurs so mancher unterschiedlicher religiöser Einstellungen, und doch war er klar in seiner eigenen Meinung und Haltung. Und ich bin fest davon überzeugt, dass seine Unermüdlichkeit und sein Einsatz ihren Grund hatten in seiner Treue zum geistlichen Leben. Vor dem morgendlichen Unterricht war er in der Kapelle zu finden, wo er offensichtlich den Halt und die Motivation für seinen Dienst empfing.
P. Hubert war ein Asket. Bescheidenheit konnte man von ihm lernen. Ich glaube, das hat sicher seinen Ursprung in der Anspruchslosigkeit, in der er und seine Familie aufgewachsen sind, trotzdem wurde aus dieser vielleicht nicht immer frei gewählten Anspruchslosigkeit eine Sorglosigkeit, wie Jesus sie meint. Eine Sorglosigkeit, die aufbaut auf die Wertschätzung Gottes, die jeder Mensch bekommt, eine Wertschätzung, die nicht von Essen und Trinken, von Kleidung und Materiellem abhängt, sondern von der Erfahrung, ein von Gott geliebter Mensch zu sein. Euer Vater weiß, dass ihr das braucht. Euch jedoch muss es um sein Reich gehen; dann wird euch das andere dazugegeben.
Schließlich wurde P. Hubert wie der treue Knecht zu einer Stunde, in der er und wir alle es nicht erwarteten, von seinem Herrn heimgesucht und auch heimgeholt. Ich bin fest davon überzeugt, dass P. Hubert seinen Gürtel nicht abgelegt hat und seine Lampe hat brennen lassen. P. Hubert war bereit. Für ihn war nach seinem Herzinfarkt die Nachbehandlung und Rehabilitation nicht wichtig. Er wollte schnell wieder zurück zu seinem Dienst – in die Schule, zu den jungen Menschen. Ich kann mich in Fockenfeld genauso erholen – höre ich ihn noch sagen, als ich ihm die REHA dringend empfahl. Sorgt euch nicht um euer Leben! Wer von euch kann mit seiner Sorge sein Leben auch nur um eine kleine Zeitspanne verlängern? Vielleicht klingt das für viele von uns zu einfach, trotzdem aber glaube ich, dass jeder Mensch in seinem Sterben auch etwas ganz wesentliches von dem zeigt, was ihn in seinem Leben ausgemacht hat. Seid wie Menschen, die auf die Rückkehr ihres Herrn warten und die ihm öffnen, sobald er kommt und anklopft. P. Hubert hat seinem Herrn geöffnet und ER  hat ihn an der Hand gefasst, das dürfen wir glauben und in diesem Glauben sind wir jetzt zusammen um uns zu stärken. Amen.

P. Thomas Vanek OSFS (Eichstätt, 2.9.2011)