Predigt beim Requiem P. Herbert Krämer (Mt 11,2-6; Jes 61, 1-3)

Begeistert vom Reich Gottes

„Und wenn ich mich im Dienst für Gott und die Menschen verzehrt haben werde, dann lege ich den Schlüssel vor die Tür und schleiche mich still davon.“ Dieses Wort stammt vom hl. Vinzenz von Paul, einem Zeitgenossen des hl. Franz von Sales. „Und wenn ich mich im Dienst für Gott und die Menschen verzehrt haben werde, dann lege ich den Schlüssel vor die Tür und schleiche mich still davon.“ Mir ist dieses Zitat zum Heimgang von P. Herbert Krämer eingefallen, weil ich gerade im letzten Jahr in meinen Gesprächen mit ihm als Provinzial den Eindruck hatte, dass er (zumindest) mir gegenüber nicht gerne von sich selbst sprach, von seiner persönlichen Befindlichkeit – gerade in der Zeit seiner Krebserkrankung, die bereits im Frühjahr des letzten Jahres sein Leben vehement bedrohte. Mir schien, es war ihm peinlich, krank zu sein, sich also seine Schwäche und Hilfsbedürftigkeit einzugestehen. Das ging sogar soweit, dass er sich bei mir beklagte, dass ich in unserer Ordenszeitung kurz über seine Krankheit berichtete – und bei meinem letzten Gespräch betonte er nochmals: ich will nicht, dass du irgendetwas von meiner Krankheit den Mitbrüdern erzählst. Dabei stand sein baldiges Lebensende bereits spürbar im Raum – nur war es noch nicht so weit, dass wir offen darüber reden konnten. Gott sei Dank hatte er in Sr. Maria Goretti, der Oberin der Elisabethinen in Neuburg, eine Vertraute, der er sich mehr öffnen konnte als mir und den Mitbrüdern – und daher wusste ich auch über den Ernst der Krankheit von P. Herbert Bescheid und ich konnte das da und dort im Kreis der Mitbrüder auch anklingen lassen. Denn ich dachte, die Mitbrüder haben auch das Recht, etwas vom schweren Kranksein ihres Mitbruders zu erfahren.
Ich persönlich habe mir immer wieder die Frage gestellt, warum es für P. Krämer so schwer war, über sich und seine Krankheit und die damit verbundenen Ängste und Nöte zu sprechen. Ich glaube, es ein wenig verstehen zu können, denn es gibt Menschen, denen ist es unangenehm, Hilfe in Anspruch zu nehmen, es ist unangenehm, vor jemanden anderen zu jammern, zu sagen, mir geht es schlecht, vielleicht sogar so schlecht, dass ich ohne fremde Hilfe nicht mehr zurecht komme. Ich glaube, es liegt das im Selbstverständnis jedes einzelnen, denn es gibt ja auch viele Menschen, bei denen ist es genau umgekehrt. Die brauchen ständig jemanden, dem sie ihr Leid klagen können. Wer sich selbst aber sehr stark vom Tun und vom Geben – vom Dasein für die anderen her definiert, der wird sich schwer tun, fremde Hilfe anzunehmen.
P. Herbert war Priester und Ordensmann. Und als Priester hilft man den Menschen, und beklagt sich nicht bei ihnen – denn schnell denkt man über den Priester ein wenig zynisch wie die Hohenpriester und Ältesten über Jesus am Kreuz gesprochen haben: Anderen hat er geholfen, sich selbst kann er nicht helfen! Der Priester darf nicht schwach sein, er soll immer zur Stelle sein, wenn er gebraucht wird. Er soll aus dem festen Glauben leben, der unerschütterlich und unbeugsam ist und soll dafür Zeuge sein. Ich glaube, P. Herbert war so ein Priester. Er erzählte gerne von seinen priesterlichen Highlights, von dem, was ihm gelungen ist, wie sehr er sich einsetzte als Seelsorger, wie viele Religionsstunden er gehalten hat, wie viele Predigten, wie viele Gottesdienste. Er erzählte von seiner wunderbaren Zeit in Hassfurt als Kaplan (Ritterkapelle) Kinderseelsorger und Religionslehrer, und auch in Neuburg als Seelsorger für die Schwestern und für die Geriatrie im Krankenhaus wollte er – wie ich den Eindruck hatte – wie Franz von Sales allen alles werden. Erst als er einfach nicht mehr konnte, musste er andere um Hilfe bitten. Ich glaube, P. Herbert war begeistert vom Reich Gottes und sah seine Sendung darin, ihm zum Durchbruch zu verhelfen, damit das erfahrbar wird, was Jesus Johannes dem Täufer durch dessen Jünger hat ausrichten lassen: Geht und berichtet Johannes, was ihr hört und seht: Blinde sehen wieder, und Lahme gehen; Aussätzige werden rein, und Taube hören; Tote stehen auf, und den Armen wird das Evangelium verkündet.
Wo das für mich persönlich im Leben von P. Krämer am meisten zum Ausdruck kam, war sein großes Engagement für die Asylbewerber in Neuburg. Schon bald, nachdem er in Neuburg als Seelsorger begonnen hatte, hat er in diesen Menschen die Notleidenden unserer Zeit entdeckt, die Fremden, die nach Heimat und nach Anerkennung dürsten, die Aussätzigen, die niemand mag. Und wie ich erfahren habe und er selbst auch erzählte, hat er viel Zeit und Kraft für diese von uns oft abgeschobenen Menschen investiert. Voll Stolz erwähnte er einmal mir gegenüber, dass selbst der Bischof von Augsburg ihn dafür lobte und Anerkennung aussprach. Es fiel ihm schließlich nicht leicht, die Begleitung und Betreuung dieser Menschen aufzugeben, als ihm seine Krankheit immer mehr zusetzte.
So hat P. Herbert nun sein Leben vollendet und wir glauben und beten, dass er die ewige Heimat bei Gott gefunden hat, dem er sein Leben als „spätberufener“ Priester und als Oblate des hl. Franz von Sales geschenkt hat. Gott möge ihm jetzt schenken, was er für sich (vielleicht) zu wenig in Anspruch genommen hat: den Trost und die Geborgenheit und das Verstandenwerden. Huub Oosterhuis fragt in einem bekannten Lied: Hast du mit Namen mich in deine Hand, in dein Erbarmen fest mich eingeschrieben? Nimmst du mich auf in dein gelobtes Land? Werd ich dich noch mit neuen Augen sehen? Bist du der Gott, der Zukunft mir verheißt? Ich möchte glauben, komm mir doch entgegen.
Für P. Herbert haben diese Fragen jetzt eine Antwort gefunden. Nun ist ihm Gott ganz entgegen gekommen, nun darf ER erfahren, was es heißt: Blinde sehen wieder, und Lahme gehen; Aussätzige werden rein und Taube hören; Tote stehen auf, und den Armen wird das Evangelium verkündet.
Danken möchte ich zum Schluss den Schwestern Elisabethinen von Neuburg für die liebevolle Begleitung und Sorge von P. Herbert Krämer und den Mitbrüdern, die ihm in den Tagen seines Leidens besucht und getröstet haben. Amen.

P. Provinzial Thomas Vanek OSFS (Eichstätt, 24.9.2010)