Predigt beim Requiem P. Franz Wehrl (Mal 3, 1-4.23-24; Lk 1, 57-66)

Kein Mann der leeren Worte

Franz und ich haben im letzten Jahr viel Zeit miteinander verbracht, und ich bedanke mich, dass ich hier noch ein paar Gedanken mitteilen darf. Dabei ist mir wichtig, dass ich ihm und seinem Leben irgendwie gerecht werde. Er war nicht der Mann der leeren Worte, der raschen oder auch frommen Antworten. Seine Sätze waren durchdacht, kritisch und irgendwie herausgehoben aus dem Sumpf der Emotionen. Er redete nicht gerne über sich, sondern wollte Wissen mitteilen, lehren, ein Stück Wahrheit erfassen und sich darüber austauschen. Deshalb will ich nicht trösten, sondern dass wir – vielleicht ein letztes mal – von ihm, von seinem Leben und Sterben lernen.

In der Lesung hat es geheißen: Wer erträgt den Tag, an dem Gott kommt? Wer kann bestehen, wenn er erscheint?

Es ist erschütternd, wenn Krankheit und der Tod einem Menschen entgegentreten, wenn sie brutal in ein Leben hereinbrechen; wenn Krankheit und Tod ein bestehendes Feld von äußerer Harmonie, Freundschaft, Leidenschaft und Alltag zerstören; wenn eine schwere Krankheit ein Leben des Lehrens, Forschens, und des Gewohnten erschüttert; und gar der Festigkeit unseres Daseins, auch unseres Glaubens, der tragende Boden entzogen wird.

Es war für ihn und für uns alle erschütternd mit anzusehen, wie die Vorboten des Todes, in der Gestalt der Krankheit, begonnen haben, ihm bereits vieles aus der Hand zu nehmen.
Gegen die Krankheiten vermögen wir zwar in der heutigen Zeit viel. Er versuchte alles, um den Krebs und damit den Tod zu besiegen, zumindest hinauszuschieben. 1 Jahr dauerte dieser Kampf, geprägt von Verzweiflung und Hoffnung, von Resignation und kleinen Ankern der Besserung.

Immer wieder habe ich gemeint, dass er langsam verstehen wird, und die Krankheit und damit auch den Tod annehmen und akzeptieren wird. Es wurde allerdings ein langes Warten und Advent.
Ab und zu stand ich in seinem Zimmer oder saß ganz sprachlos an seinem Bett, und die Angst kam in mir hoch, dass es mir auch einmal so ergehen wird; dass ich nur schwer loslassen kann, und mich verzweifelt an jeden Strohhalm klammern werde.

Erst vor ein paar Wochen klagte er in der Früh immer wieder über Rückenschmerzen, und dass er sich schwer tue aufzustehen, und er fragte, ob ich wohl ähnliche Probleme in der Früh hätte. Ich sagte ihm, dass ich mir beim Aufstehen jeden Tag auch schwer tue, aber aus anderen Gründen, und er soll doch bitte bedenken, dass er um ein paar Jahre älter sei als ich, und noch dazu schwer krank. – Er wollte das nicht hören.

Warum ist es so verdammt schwer, Krankheit und Tod zu akzeptieren? Warum tun wir uns so schwer loszulassen? Oder anders gefragt: Was würde uns helfen, Krankheit und Tod in unserem Leben zu integrieren und als das Selbstverständlichste anzunehmen? Wir sind doch alle mehr wert als all unsere Bücher und Habseligkeiten, als unser Äußeres und die paar Jahre hier auf Erden?

Wer eine rasche Antwort gibt, und sei sie noch so fromm, der macht es sich einfach, anderen aber oft schwer.

Ich erinnere mich, nach einer Frühmesse, an der er teilnahm, kam er auf die Fürbitten zu sprechen, und er fragte mich, was ich von dieser Bitte für die Verstorbenen denn halte, ob ich daran glaube, dass wir mit unseren Gebeten für die Kranken und die Verstorbenen etwas tun könnten.

Eine Antwort zu finden, die über das hinausging, was er für sich bereits wusste, war nie leicht zu geben. Entweder, meine Erklärungen waren ihm zu oberflächlich, dann tat er sie mit einer Handbewegung ab und redete nicht mehr darüber. Oder sie gab ihm Anlass mir einen längeren Vortrag zu halten und mir von seinem reichen Wissen mitzuteilen.
Aber an diesem Morgen überraschte ich ihn, weil ich nur ein einziges Wort sagte, das ihn traf: „vielleicht“. Wir wissen es nicht, aber „vielleicht“. Wir wissen nicht, was kommen wird, und ob überhaupt etwas kommt, aber „vielleicht doch“. Wir wissen nicht, was nach dem Tode sein wird, aber „vielleicht wird es wirklich erfülltes Leben“ geben.

Mir wurde an diesem Morgen ganz klar, dass ein fast 80 jähriger Priester und salesianischer Gelehrter genau so wie wahrscheinlich die meisten von ihnen, und die meisten der hier anwesenden Priester, mit dem „vielleicht“ besser umgehen können, es unsere Glaubenssituation besser beschreibt, als jede fromme Rede vom Himmel und von der ewigen Freude bei Gott. Und dieses „vielleicht“, diese kleine Unsicherheit, macht es schwer zu gehen.

Ein zweites möchte ich gerne erwähnen: er war sich selbst und seinem Leben treu. Nach fast dreißig Jahren in Tauberfeld ist er vor einem Jahr zu uns ins Salesianum zurückgekehrt. Er war immer Oblate des Hl. Franz von Sales, verliebt in das Leben und die Schriften des Hl. Franz von Sales und interessiert am Ordensleben. Seine Bücher und Artikel, die er über die Ordensgeschichte und über Franz von Sales geschrieben hat, sind Zeugen dafür. Er lebte nur nicht bei uns und mit uns. Aber das macht auch nichts, jeder wie er meint, dass es für ihn passt. Aber gegen Ende seines Lebens ist er zu uns zurückgekehrt, und ich glaube sagen zu dürfen, dass dieses Haus für ihn zur Heimat wurde. Dafür danke ich den Mitbrüdern und den Angestellten, weil wohl wir alle viel dazu beigetragen haben.
Ich sagte, er war sich selbst und seiner Berufung treu. Er war eigentlich ein stiller, arbeitender Mensch, der konsequent durch dieses Leben ging. Er hatte ein großes Vertrauen in sich selbst, das man nur schwer erschüttern konnte. Er wollte auch gerne immer recht haben und Korrekturen waren ihm nicht unbedingt willkommen. Er war Lehrer, ein Gebender, ein Belehrender, der sich das Wissen von seinen eigenen Reflexionen und dem geschriebenen Wort auslieh.

Ein paar mal meinte ich allerdings sein Inneres zu erahnen, den sensiblen, den ganz empfindsamen Menschen. Dieser empfindsame Mensch hat sich für mich z. B. in seinen Freunden gespiegelt, die ich während dieses Jahres kennenlernen durfte: Liebenswürdige, treue, intelligente, ehrliche und ganz behutsame Menschen.

Liebend gerne hätte ich ihn mit ein paar Fragen konfrontiert, gerade als es immer mühsamer für ihn wurde, zu arbeiten:
Kannst du einmal denken, du selber, deine Person, ist liebenswerter und wertvoller als deine vorweisbaren Taten, all deine Bücher, Vorträge und all dein Wissen?
Kannst du dir einfach mal gestatten, an etwas anderes zu denken als daran, was du tun musst und was du noch machen willst?
Kannst du nicht einfach mal loslassen?
Geschöpfe sind wir dieser Welt, verletzlich und sterblich.

Er konnte es wohl für sich, denn er hatte einen Sinn für das Schöne und Wahre. Es gab diese Botschaft für ihn, dass alles, was uns umgibt, weil es geschaffen ist, eine Schönheit atmet, die nie vergeht. Er hat dies zum Teil in Bildern festgehalten. Er liebte die Musik. Ein empfindsamer Mensch, der sich am Schönen erfreut hat, Stimmungen ganz klar aufgenommen hat und an ungelösten Konflikten sehr gelitten hat.
Wir haben uns beide in den letzten Wochen an eine Begebenheit erinnert, die schon einige Monate zurücklag, und – ob seines Zuckers – begonnen werden musste, Insulin zu spritzen. Da er sich selbst davor scheute, hat ein Mitbruder an einer weichen Semmel geübt, um ein Gefühl für das Spritzen zu bekommen. Als es dann soweit war, hat er doch etwas zu kräftig zugestochen. P. Wehrl sagte mir später, erleichtert und lachend, dass der besagte Mitbruder wohl seinen ganzen Frust und Ärger, den es zwischen ihnen gab, mit diesem Stich endlich loswerden wollte. Recht hatte er. Für beide war es eine Befreiung.
Wehrl, der Ästhet, der Gefühlvolle und Mitfühlende, und der Leidende.

Am Ende seines Lebens saßen wir zu zweit an seinem Bett im Krankenhaus in Neuburg. Kurz bevor er starb kam noch eine dritte Person dazu. Nun waren wir irgendwie vereint, all jene, die im letzen Jahr die meiste Zeit mit ihm verbracht haben.
Wir haben ihn gerne gehabt und dieser endgültige Abschied ist uns sehr schwer gefallen. Auch wenn er zur rechten Zeit kam, ist Abschied nehmen schwer. Aber wir sollten es alle unbedingt lernen, weil es wird uns alle treffen.

Bald werden wir ihn zu unserem Friedhof hinaufbringen, wo am Eingang so sinnvoll steht: „Hier leben in Frieden“.
Du, Franz, weißt inzwischen die Antwort auf die Frage, die wir uns einmal stellten, wie es wohl weitergeht nach dem Tod. „Vielleicht“ hast du bereits erfahren, was uns heute im Evangelium bei der Namensgebung des Johannes gesagt wurde., dessen Name bedeutet: „Gott ist gnädig“, oder genauer: „Gott hat sich als gnädig erwiesen“.Bei dir gibt es inzwischen eine Gewissheit, ich bleibe bei meinem „vielleicht“,. Aber dieses „vielleicht“ genügt mir und uns allen für heute, dich mit unseren Gebeten und Gesängen zu begleiten. Amen.

P. Josef Költringer OSFS (Eichstätt, 23.12.2010)