Predigt beim Requiem Br. Michael Karmann (1 Kön 19, 7-13; Lk 14, 25-33)

Voller Kraft und Vitalität

Bruder Michael, wann immer ich an dich denke, dann fällt mir zunächst unser erstes gemeinsames Erlebnis ein, zu dem du mich eingeladen hast – und das war die „Kampenwand“. Ich damals knappe 20 Jahre, grade erst aus dem Noviziat, du damals knappe 60, und voller Kraft und Vitalität. Du warst es, der mir Großstadtmenschen die Angst vor dem felsigen Gebirge genommen hat und damit den Samen der Begeisterung für die Bergwelt und das Erklimmen ihrer Gipfel eingepflanzt hat. Ich erinnere mich noch gut, als ich mir wegen der „Kampenwand“ die ersten Bergschuhe hier in Eichstätt gekauft habe und dann mit dir meinen ersten Bayrischen Gipfel bezwungen habe. Für mich war es der Beginn einer Faszination, die mich bis heute nicht mehr losgelassen hat. Der letzte Abschnitt im felsigen exponierten Gelände bis zum Gipfelkreuz war damals für mich das absolut Neue, das mir Respekt abverlangt hatte, weil ich so etwas noch nie zuvor gegangen bin. Da warst du als erfahrener Bergfex der, der mir Sicherheit vermittelt hat, gute Tipps und das erste Vertrauen in den Halt, den die Felsen bieten, wenn man den Tritt gut setzt – und so hast du mich angesteckt. Aus deinen eigenen Erzählungen weiß ich, dass ich nicht der einzige Mitbruder bin, den du die Berge „gezeigt“ hast. Erzählt hast du viel über die vielen Wanderungen und manchmal auch deine Dias herausgeholt vom Bettelwurf und anderen Gipfelbestürmungen.
Wir wissen ja, dass das Wandern und Bergsteigen oft und oft als Bild für das Leben verwendet wird – und die Erfahrungen, die man da macht, eins zu eins mit den Erfahrungen des Lebens vergleichbar sind. Mit den Schwierigkeitsgraden des Lebens aber auch mit der Art und Weise, wie man das Leben mit seinen Auf- und Abstiegen bewältigen kann. Welche Etappen man durchstehen muss, welche Mühen und schweißtreibenden Augenblicke, um schließlich das einzigartige Gipfelerlebnis in seiner unbeschreiblichen Schönheit mit seinem unvergleichlichen Freiheitsgefühl erleben zu können. Wahrscheinlich hat Gott sich deshalb für seine besonderen Offenbarungen die Berge als Orte ausgesucht, um die Menschen von all dem Alltagsschrott frei genug sein zu lassen, um ihn noch deutlicher und klarer zu vernehmen. Der große Prophet Elija ist einer von denen, die erfuhren, dass Gott sich auf dem Berg anders hören und erfahren lässt als unten im Tal, weil man dort nur mehr auf sich selbst geworfen ist und beeindruckt von der Mächtigkeit dieses Naturschauspiels nur vor sich selbst steht und eine Antwort finden soll auf die Frage: Was willst du hier? Was ist dein Leben, deine Sendung, dein Auftrag?
Br. Michael war ein fester und klarer Charakter, seine Sprache war eindeutig und entschlossen, seine Einstellung zum Leben sicher nicht verwöhnt oder verweichlicht, sondern konsequent und manchmal auch fordernd in dem Sinne, dass er auch von anderen erwartete, was er sich selbst an Disziplin und Härte abverlangte. Diese Einstellung wurde sicher einerseits von seinem Elternhaus und in seiner Familie grundgelegt, da das Leben auf dem Land in den 1920er und 30er Jahren sicher niemanden verwöhnte. Da wurde nicht lange gefragt oder diskutiert, da war klar, was Sache ist und dem hatte man sich auch zu fügen. Es waren aber vor allem dann die vielen Jahre als Soldat und als Kriegsgefangener, die Br. Michael nachhaltig für sein ganzes Leben und in seiner Einstellung geprägt hatten. Dabei waren Kameradschaft und ein geordnetes, diszipliniertes Leben die beiden Grundsäulen seiner Lebensgestaltung. Wahrscheinlich waren es auch die beiden Säulen, die er im Klosterleben in etwas abgewandelter Form auch wieder entdeckte und die ihn nach der Heimkehr aus der Gefangenschaft in seiner Berufung wahrscheinlich stärkten, das Ordensleben dem Ehe- und Familienleben vorzuziehen. Alois Brems, der spätere Bischof von Eichstätt, bestärkte damals Br. Michael, der sich für die Diözesanjugend engagierte, den geistlichen Beruf des Ordensmannes einzuschlagen. „Was willst du?“, fragte Gott Elija. „Was willst du, Michael?“, war damals wohl die grundlegende Frage seiner Wahl. Das Gemeinschaftsleben und der geordnete Tagesablauf im Kloster – die festen Gebetszeiten, die Essenszeiten, die Arbeitszeiten, die fixen Aufgabenbereiche – all das war ihm nichts fremdes, im Gegenteil, das war ein bewährtes Fundament, auf dem er sein Leben weiterhin aufbauen wollte. Deshalb war der Boden seiner Berufung zum Ordensmann nach Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft schon gut bereitet. So konnte er (hier) im Salesianum sein Leben weg von den Kriegswirren und –folgen hin zu einer ihm vertrauten und sinnvollen Lebensweise entfalten, und ich bin überzeugt, dass ihn die salesianische Spiritualität und die in Gott frohe und gelassene Lebensweise unserer Ordensgemeinschaft in vieler Hinsicht positiv und optimistisch geprägt haben. Sodass er schließlich seine Aufgaben zunächst als Schreiner und dann in der Missionsprokura mit einem festen Willen und mit klarer Entschiedenheit und gerne als Auftrag seiner Ordensberufung gesehen hat. Das Gleichnis vom Turmbau verwendet Jesus für die Entschiedenheit in seiner Nachfolge. Wer nur so halb und irgendwie seinen Weg aufnimmt, der kommt nicht ans Ziel. Für Br. Michael passen die beiden Vergleiche Jesu sehr. Wer nicht genau kalkuliert, wer nicht plant und rechnet, wer so in den Tag hineinlebt und nicht weiß, was er will und kann, der wird keine Konsequenz im Leben lernen – und im Wort Konsequenz steckt schließlich das Wort „Nachfolge“. Das fordert Gott sowohl von Elija am Berg Horeb, wie auch Jesus von seinen Jüngern. Eine halbherzige Unentschlossenheit, ein sich Gehen Lassen ist kein überzeugender Weg. Br. Michael war in dieser Hinsicht durchgestylt. Ob das seine Konsequenz war, mit der er täglich seine Kilometer mit den Walkingstöcken zurückgelegt hat, oder das Verteilen der Post, genauso wie das Vorbereiten des Gottesdienstes und das Ministrieren oder das Vorbeten des Angelus, oder das Aufstellen der Krippe im Gemeinschaftsraum bis hin zu seinen Diensten im Büro bei Frau Stock. In all diesen Diensten beeindruckte er mit seiner Treue und Zuverlässigkeit. Br. Michael war ein Wanderer – auch im übertragenen Sinn. Er war immer auf den Beinen (körperlich aber auch seelisch), sicher ein Grund für sein hohes Alter, das er erreichte – und als ihn seine schwindenden Kräfte nicht mehr auf den Beinen hielten, war er am Ziel seines Lebens angekommen, am Gipfel der Vollendung seines Lebens. Br. Michael konnte sein Leben nach dem Empfang des tröstenden und stärkenden Sakramentes schließlich seinem Gott ganz in die Hände loslassen. 91 Jahre ist er geworden, 60 Jahre hat er das Evangelium als sein Lebenskonzept in der Gemeinschaft von uns Sales-Oblaten ernst genommen und ihm in Treue gedient. Jetzt steht er wie Elija auf dem Berg vor dem Herrn – so wie er war, konfrontiert mit sich selbst, mit seinem Leben und was er daraus gemacht hat. Und wenn wir der Offenbarung Gottes Glauben schenken, dann wird auch ihm der Herr nicht im Erdbeben, im Feuer und im Sturm begegnen (wie er das aus dem Krieg sicher kannte!), sondern in der Sanftheit und in der Milde, in der Barmherzigkeit und in der Güte. So kann er sich jetzt getrost und mit vollem Vertrauen vor den Eingang der Höhle auf dem Gottesberg stellen und sich IHM, seinem Schöpfer, ganz überlassen. Daran dürfen und wollen wir glauben. Der Turm seines Lebens ist fertiggebaut. Woran er geglaubt hat und wofür er in der Nachfolge Jesu gelebt hat, dazu darf er jetzt mit Christus auferstehen. Amen.

P. Thomas Vanek OSFS (Eichstätt 14. 12. 2013)