Pater Erich Hehberger OSFS

Predigt beim Requiem P. Erich Hehberger (1 Kor 1, 26-31; Joh 5, 19-25)

Mosaik einer Persönlichkeit

Ehrlich gesagt, es ist für mich eine ungewohnte Herausforderung, einen Mitbruder bei seinem Auferstehungsgottesdienst zu würdigen, den ich eigentlich kaum kannte. Zwei Gründe sind mir für diesen Umstand gekommen:

zum einen war P. Hehberger in den Jahren meiner Ordenszugehörigkeit ein sehr zurückgezogener Mitbruder, einer der den Anschluss an die Ordensgemeinschaft nicht wirklich suchte, und daher an gemeinsamen Treffen oder Veranstaltungen nie teilgenommen hatte. Das mag seine Gründe haben, die ich aber nicht kenne und auch nicht kennen muss.

Zum anderen, als ich vor 5 Jahren Provinzial wurde, war P. Hehberger bereits schwer gekennzeichnet von seiner schweren Erkrankung. Und wir wissen, dass seit seiner Gehirnblutung sein Sprachzentrum so sehr geschädigt war, dass er nur mehr Ja oder Nein sagen konnte. D.h. man konnte mit ihm reden, aber nur so, dass er entweder zustimmend Ja oder ablehnend Nein sagen konnte. Anders ausgedrückt, wenn man ihn besuchte, war eigentlich keine ausgeglichene Unterhaltung, kein Dialog mehr möglich, sondern nur mehr noch ein Monolog.

Es blieb einem nichts anderes übrig, als alle Mitteilungen so zu formulieren, dass er darauf mit Ja oder mit Nein antworten konnte. Sicherlich hatten die Schwestern und das Pflegepersonal ihn besser verstanden, schließlich gibt es noch andere Kommunikationsformen als das Sprechen.

So muss ich mich heute auf die Erzählungen von Mitbrüdern stützen, die ich nach seinem Tod gesammelt habe – und es ist interessant, wie sehr sich durch die Erzählungen derer, die ihn in den verschiedenen Lebensphasen erlebten, für mich ein Mosaik seiner Persönlichkeit darstellt, das mir ihn selbst nach seinem Tod auf eigenartige Weise bekannt gemacht hat.

Ja, ja – oder Nein, nein! Eigentlich tragisch, wenn ein Gelehrter wie P. Hehberger, der doppelter Doktor war, ein immenses Wissen hatte, wissenschaftlich arbeitete und eine Menge an Publikationen herausgab, in der letzten Phase seines Lebens sich nur mehr mit zwei Worten verständigen konnte. Wo ist all das Wissen geblieben, wo sind die Früchte jahrzehntelanger Studienarbeit und Forschung letztlich geblieben? Wie schnell kann ein lebenslang erworbenes Wissen eigentlich unfruchtbar werden, verstummen? Ein geistiger Schatz nicht mehr kommuniziert werden? Als ich nach der schweren Erkrankung von P. Hehberger nach seinem Umzug von Dietramszell nach Neuburg auf seine Bücher stieß, die wir hierher ins Salesianum brachten, da fand ich viele Bücher über Gesundheit und Ernährung, Psychologie, Kunst und Kultur… als könnte man aus diesem Bücherfundus herauslesen, was ihm neben der Theologie wichtig war, was er für sich und seine körperliche und geistige Erbauung brauchte.

Dennoch sollte es nicht sein, dass er aufgrund der hochstehenden geistigen und sicher auch gesunden leiblichen Nahrung, die er in seiner postuniversitären und von Kränklichkeit geprägten Zeit konsumierte, das Alter in einem erträglichen Zustand erleben durfte.

Irgendwie scheint es, dass sich dieses Pauluswort vom Törichten, das Gott in der Welt erwählt hat, um die Weisen zuschanden zu machen, bei P. Hehberger in eigenartiger Weise darstellte. Denn er erlebte sozusagen beide Pole, die Paulus so deutlich gegenüberstellt: die strahlende Weisheit, das enorme Wissen und die Impulsivität es zu vermitteln auf der einen Seite – und auf der anderen Seite das absolut Schwache, das Hilflose, das Unselbständige und das angewiesen Sein auf die anderen wie ein Kind. Und wenn wir die Absicht des Paulus hinter diesen Worten beachten, dann war es gerade eben diese zweite Seite, die wir als uns gesund einschätzende Menschen normalerweise bedauern als ein besonders schweres Schicksal, eine Prüfung. Genau das hat P. Hehberger zum Beispiel werden lassen, dass sich der Mensch nicht vor Gott rühmen kann, nicht aufgrund seiner eigenen Weisheit, die er sich durch Fleiß und Mühe erworben hat – sondern in der Niedrigkeit und Hilflosigkeit – im Verstummen seiner Sprache – zu Christus Jesus geführt wird, den Gott für uns zur Weisheit gemacht hat, zur Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung.

P. Hehberger hat unermüdlich in dieser Zeit seiner Krankheit versucht, wenigstens die Hl. Messe wieder „sprechen“ zu lernen. Mit vielen logopädischen Übungen, die er mit seinem ursprünglichen Ehrgeiz eifrig absolvierte, hat er es auch mit Hilfe von Sr. Isentrud ein oder ein paar Mal in der Woche so geschafft, dass er über das Sakrament der Eucharistie seine Beziehung zu Jesus pflegen und intensivieren konnte. Seht doch auf eure Berufung – schreibt Paulus. Die priesterliche Sendung als Seelsorger und Spender der Sakramente war für P. Hehberger, wenn man seine Biographie betrachtet, das Fundament, das ihn auf all seinen Einsatzbereichen und im wechselnden Vielerlei des Lebens durchgehend getragen hat. Die Berufung zum Priester war sein Cantus firmus, auf dem sich die verschiedenen Melodien harmonisch darüberlegen konnten: die Lehrtätigkeit auf den Hochschulen und Universitäten, das Verfassen wissenschaftlicher Studien und Abhandlungen, das Engagement für Kunst und Kultur oder seine Liebe zur salesianischen Spiritualität.

So wird er wohl in der Eucharistie die Kraft für seinen täglichen Lebensmut und Lebenskampf geschöpft haben. Wir wissen es zwar nicht, aber es mag gerade aus dieser eucharistischen Beziehung zu Jesus in ihm die Tapferkeit gewachsen sein, nicht aufzugeben, die Operationen geduldig über sich ergehen zu lassen bis schließlich Jesus ihn am Tor zur Ewigkeit in die Arme schließen konnte.

Und so dürfen wir mit unserem Verstorbenen dem Wort Jesu glauben: „Denn wie der Vater die Toten auferweckt und lebendig macht, so macht auch der Sohn lebendig, wen er will. Auch richtet der Vater niemand, sondern er hat das Gericht ganz dem Sohn übertragen, damit alle den Sohn ehren, wie sie den Vater ehren.“

Und wer ehrt den Sohn mehr, als wenn er an seinem Liebesvermächtnis teilnimmt. Um das Wort des Sohnes hören und daran glauben zu können, dafür ist das Sprachvermögen nicht mehr nötig, vielmehr die innere Überzeugung, dass wir dazu berufen sind, aus dem Tod ins Leben hinüberzugehen.

So dürfen wir angesichts unseres toten Mitbruders uns auf das Wesentliche unseres Glaubens neu ausrichten: „Die Stunde kommt und sie ist schon da, in der die Toten die Stimme des Sohnes Gottes hören werden: und alle, die sie hören, werden leben.“ Amen.

P. Provinzial Thomas OSFS (Eichstätt 21. 6. 2014)