Predigt zum Weihnachtsfest (Joh 1,1-5.9-14)

Hat Gott in meinem Leben Platz?

Vor vierhundert Jahren gab es noch keinen Adventkranz, noch kein Stille Nacht und noch keinen Christbaum … Es gab keine Weihnachtspost und Geschenke gab es auch noch nicht, nicht einmal für die Kinder. Wie also hat Franz von Sales die Advents- und Weihnachtszeit verbracht und gefeiert?

Damals stand eben genau das im Mittelpunkt, mit dem auch der Evangelist Johannes sein Evangelium beginnt.

„Im Anfang war das Wort – und das Wort war Gott – und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“

Vor vierhundert Jahren wurde darüber diskutiert, warum Gott eigentlich Mensch wurde? Die einen meinten, dies geschah, weil der Mensch gesündigt hat und selbst zu schwach ist, um sich aus den Verstrickungen der Sünde uns des Bösen zu befreien. Daher wurde Gott Mensch, um die Menschen zu erlösen.

Die anderen meinten: Nein, Gott hat von allem Anfang an geplant, Mensch zu werden, unabhängig davon, ob der Mensch sündigt oder nicht. Und dieser Meinung schloss sich auch der heilige Franz von Sales an und er liefert in seinen Schriften auch den Grund dafür:

Gott ist Liebe. Und Liebe will sich verschenken. Daher ist Gott keine einsame, unerreichbare Monade im raum- und zeitlosen Irgendwo. Er ist dreifaltig: Gott Vater schenkt seine Liebe seinem Sohn. Dadurch entsteht Heiliger Geist. Die Dreifaltigkeit erschafft die Welt, damit sich Liebe noch weiter verschenken kann – in die Schöpfung. Und schließlich erschafft Gott den Menschen nach seinem Ebenbild – und von Anfang an – von Ewigkeit her – hat Gott geplant, selbst Mensch zu werden, um ganz eins sein zu können mit seiner Schöpfung und mit seinen Geschöpfen, den Menschen. „Diese von Ewigkeit her dauernde Liebe“, so meint Franz von Sales, „hat die göttliche Vorsehung gedrängt, uns an sich zu ziehen“ (DASal 3,121).

Das mag für uns heute hohe Theologie sein, die in unseren Ohren vielleicht weltfremd und unverständlich klingt. Aber diese hohe Theologie finden wir auch im Johannesprolog, der in Worte zu fassen sucht, was eigentlich nicht in Worte gefasst werden kann.

Letztlich stehen wir alle daher sprachlos vor einem Wunder, das uns nur Staunen lässt. Der große allmächtige Gott liebt mich so sehr, dass er Mensch wird, um ganz bei mir sein zu können.

Der heilige Franz von Sales verbrachte die Weihnachtszeit vorwiegend in diesem Staunen über die unendliche Liebe Gottes, die sich in seiner Menschwerdung offenbarte. Und je mehr er darüber nachdachte, umso größer wurde sein Staunen und Entzücken darüber. Und umso unverständlicher wurde für ihn, dass die Welt diese Liebe ablehnt und zurückweist, so wie es auch das Johannes-Evangelium formuliert: „Die Welt erkannte ihn nicht … Gott kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.“

Die Herausforderung der Weihnachtsbotschaft besteht nicht darin, Gott zu verstehen. Die Herausforderung spielt sich nämlich nicht in unserem Kopf ab, sondern in unserem Herzen. Und diese Herausforderung stellt mir die Frage: Bin ich bereit, Gott mein Herz zu öffnen und ihm, der mich so sehr liebt, dass er Mensch wird, in meinem Leben einen würdigen und zentralen Platz zu geben?

Jede Krippendarstellung macht uns genau auf diese Frage aufmerksam: Gott wird Mensch, aber die Menschen haben keinen Platz für ihn – nur einen Stall. Die Weihnachtskrippe stellt mir also die Frage: Und du? Hast du einen Platz für mich? Oder muss ich auch bei dir in irgendeinem finsteren ärmlichen Eck mein Dasein verbringen?

Vielleicht finden wir in diesen weihnachtlichen Festtagen einmal die Zeit, uns dieser Frage zu stellen – und darüber zu staunen, dass Gott mich so sehr liebt, dass er Mensch wird und ganz bei mir sein will. Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS