Predigt zum Requiem P. Johannes Haas (Joh 3,28-30 od. Lk 9,57-62)

Aufbruch ins Ungeahnte

Auch wenn wir hier ein Bild unseres P. Johannes aufgestellt haben, das ihn sehr gut wiedergibt und ihn auch noch einmal sehr präsent in unserer Mitte sein lässt, dann ist es doch auch nur eine Hilfe für jede und jeden einzelnen von uns, die je eigene Beziehung, die ich, du, Sie zu Johannes hatte(n) mit den Augen des Herzens wahrzunehmen. Denn auf die Augen des Herzens kommt es ab diesen Tagen, in denen wir vom leiblichen Johannes Abschied nehmen mussten, an. Denn was nun zählt, ist nicht nur die Erinnerung an einen umtriebigen, herzlichen, eifrigen und engagierten Ordensmann, Priester und Seelsorger, … sondern was ab nun zählt, ist, welche Wirkung sein Wirken in uns hinterlassen hat, welche Spuren seine Begegnungen mit uns in uns hinterlassen haben, welche Erkenntnisse seine Predigten, seine gestalterischen Elemente in den Gottesdiensten, seine Einkehrtage und Exerzitien, seine Sakramentenspendungen, seine Briefe und Emails, seine Schriften und seine Idee, seine unvergleichlichen Wortkreationen und Wortspiele in uns bewirkt haben … und was wir heute dadurch, dass wir ihn gekannt, erlebt, geschätzt und geliebt haben, von ihm als Wirklichkeit unauslöschbar und unvergänglich in uns behalten. Oder anders ausgedrückt: welche Früchte sein Wirken für uns gezeitigt hat, von denen wir kosten durften und deren Geschmack in uns unvergesslich-nachhaltig bleibt. So kann man mit seinem Namenspatron, dem Johannes dem Täufer, mit dem sich Johannes Haas sehr identifiziert hat, einer Meinung sein, wenn er über den Messias sagte: Er muss wachsen, ich aber muss kleiner werden. Er, unser Johannes Haas, hatte diesen Wesenszug des Täufers Johannes sich in seiner Berufung zum Sales-Oblaten-Priester zu eigen gemacht – seine Individuation, sein Ganz-Sein, war Wegweisung, Brückenbauen, Hinführung, Begleitung zu dem, der in uns allen wachsen muss. Und beim genaueren Betrachten dieses Wesenszuges werden wir (vielleicht) dahinterkommen, dass, wenn Christus in uns wächst, dann wachsen wir mit ihm. Und dass wir mit Christus wachsen, und wie viel wir durch Johannes mit Christus gewachsen sind, darüber darf und soll in dieser Stunde hier jede und jeder nachsinnen und dankbar sein.

Er war voll von Energie. Johannes Haas wollte die Welt christlich gestalten helfen. Er war unermüdlich. Sein Interesse an dem, was in der großen wie in der kleinen Welt der Menschen passiert, war unerschöpflich. Information über das Weltgeschehen, über das Geschehen in der Kirche, über das, was sich in seinem Aufgabenumfeld bewegte, war sein tägliches Geschäft. Dazu kamen die unzähligen Kontakte, die er knüpfte und – was noch viel bewundernswerter ist – auch pflegte. Davon zeugen die ebenfalls unzähligen Notizen, Bilder, Fotos, Schriftstücke, Briefe, Artikel, die er gesammelt und archiviert hatte. So hatte er zu jedem Gesicht und jedem Kontakt auch immer gleich ein Erinnerungsstück, das zur Kommunikation einlud und sie noch um viel Neues erweiterte. Die Seele unseres Johannes Haas war ein großes Archiv, ganz im Sinne der Offenbarung des Johannes, in der wir lesen: Und Bücher wurden aufgeschlagen. Unter ihnen das Buch des Lebens. So ein Buch des Lebens hatte Johannes in sich selbst. In ihm waren alle die Menschen aufgezeichnet, die sein Leben bereicherten, prägten und formten. Das waren die großen Gestalten der Kirche wie der hl. Franz von Sales, dem er sich ja durch seinen Entschluss, Sales-Oblate zu werden quasi als Jünger anschloss, das waren aber auch die großen zeitgenössischen Gestalten der Kirche, wie ein hl. Papst Johannes XXIII., ein Frere Roger Schutz, eine Mutter Theresa, aber auch ein Matthias Kaiser und eine Anna Schäfer bis hin zu den großen Vertretern des 2. Vatikanums, wie Karl Rahner und Kardinal Döpfner, Papst Benedikt XVI. und Paul Zulehner, dem er ja in seiner Wiener Studienzeit assistierte. Kaum zu glauben, aber Johannes vereinte sie alle in sich und wie kein zweiter schaffte er es geschickt und einmalig, sie miteinander zu der einen christlichen Botschaft zu vernetzen, die verkündet, dass unser Gott – wie Franz von Sales es einmal sagt – ein Gott des menschlichen Herzens ist und Gott mitten in unserer Welt zuhause sein will, eben Mensch in uns werden will. Sein Hang zum Literarischen vermochte es, gezielt spirituelle Slogans zu kreieren, sein Hang zur bildnerischen Kunst ließ ihn einen Sieger Köder und einen Benedict Schmitz und viele andere seine Verkündigung visuell unterstreichen, sein musikalisches Talent ließ ihn Zugang finden zu der Weite der großen und kleinen Komponisten und Virtuosen.

All das lebte in Johannes und war präsent. Es war seine Lust, und in gewisser Weise auch seine Last. Denn all das wurde ihm gerade dann auch zur Last, wenn es darum ging, weiterzuziehen, sich zu verändern, Neuland unter die Füße zu nehmen, ins Ungeahnte aufzubrechen, wie wir es in dem Brief von Frere Roger Schutz gehört haben: Du öffnest mir den Weg zum Wagnis. Und auch Jesus prophezeit allen, die ihm folgen wollen ein Leben, in dem man nicht weiß, wohin man sein Haupt legen soll, ein Leben ohne Nest und ohne Höhle, ohne Bindungen und Fixierungen, ein Leben NUR frei für das Lieben und das Nachvorneschauen. Jeder, der sich auf so einen Weg der Nachfolge einlässt, erfährt immer wieder, dass die Freiheit, die damit gemeint ist, sich oft anfühlt, als wäre sie der Gegner unserer Sehnsucht nach Heimat, nach einem Zuhause, nach Geborgenheit. Und jeder, der sich auf so einen Weg einlässt, spürt auch die Unvollkommenheit, die Bruchstückhaftigkeit, die Hilflosigkeit und den Widerstand. Johannes hatte dies bereits in seinem Primizwort angedeutet, was ihn offensichtlich auch immer bewusst war: Christus, das Nein verwandelst du Tag für Tag in ein Ja. Du willst von mir nicht nur Bruchstücke, sondern mein ganzes Dasein.

Sein ganzes Dasein forderte schließlich diese schicksalhafte und todbringende Krankheit in einem Maße heraus, das zu verstehen uns alle überfordert. Wir können und wollen hoffen, dass Johannes selbst diese Herausforderung bestand und sich ganz in die Arme des liebenden und barmherzigen Vaters legen konnte, an dem er sein ganzes Leben glaubte und dem er es auch versprach. Sein unwiderruflicher Entschluss, ihm – Gott – zu gehören, möge ihm nun den Platz am himmlischen Festmahl bei all denen, die ihn in seinem Leben begleiteten und führten, anbieten. Amen

P. Provinzial Thomas Vanek OSFS, Eichstätt, 10. Juli 2018