Predigt zum Fest Allerheiligen (Mt 5,1-12a)
Zur Heiligkeit berufen
Papst Franziskus hat in diesem Jahr ein Apostolisches Schreiben veröffentlicht, das sich mit der „Berufung zur Heiligkeit in der Welt von Heute“ beschäftigt. Seine Ausführungen eignen sich daher ganz besonders für das heutige Fest Allerheiligen, vor allem auch deshalb, weil er sich darin ausführlich mit den Seligpreisungen auseinandersetzt, die wir gerade als Evangelium gehört haben.
Zunächst möchte der Papst, dass wir die Verengung des Begriffes „heilig“ und „Heiligkeit“ wieder aufbrechen. Heilig ist kein kirchenrechtlicher Begriff, den wir nur noch mit den Selig- und Heiligsprechungsprozessen verbinden und damit mit all den herausragenden Persönlichkeiten der Kirchengeschichte, denen nachzueifern kaum jemand sich im Stande sieht. Papst Franziskus öffnet uns den Blick auf die „Heiligen von Nebenan“, also auf jene Menschen, die in ihrem täglichen Tun, an dem Platz, wo sie leben, ihr persönliches Zeugnis als Christinnen und Christen leben:
„Bist du verheiratet?“ schreibt der Papst, „dann sei heilig, indem du deinen Mann oder deine Frau liebst und umsorgst, wie Christus es mit der Kirche getan hat. Bist du ein Arbeiter? Dann sei heilig, indem du deine Arbeit im Dienst an den Brüdern und Schwestern mit Redlichkeit und Sachverstand verrichtest. Bist du Vater oder Mutter, Großvater oder Großmutter? Dann sei heilig, indem du den Kindern geduldig beibringst, Jesus zu folgen. Hast du eine Verantwortungsposition inne? Sei heilig, indem du für das Gemeinwohl kämpfst und auf deine persönlichen Interessen verzichtest.“
Die Aussagen des Papstes entsprechen fast eins zu eins dem, was der heilige Franz von Sales vor vierhundert Jahren den Menschen mit seinem Buch „Philothea – Anleitung zum frommen Leben“ beibringen wollte, wobei Franz von Sales für den Begriff „Heiligkeit“ ganz einfach den Begriff „Frömmigkeit“ verwendet. Er schreibt:
Gott gibt „den Gläubigen den Auftrag, Früchte der Frömmigkeit zu tragen; jeder nach seiner Art und seinem Beruf. Die Frömmigkeit muss anders geübt werden vom Edelmann, anders vom Handwerker, Knecht oder Fürsten, anders von der Witwe, dem Mädchen, der Verheirateten. Mehr noch: die Übung der Frömmigkeit muss auch noch der Kraft, der Beschäftigung und den Pflichten eines jeden angepasst sein.“ (Philothea I,3). Und Franz von Sales fügt hinzu: „Es ist ein Irrtum, ja sogar eine Irrlehre, die Frömmigkeit aus der Kaserne, aus den Werkstätten, von den Fürstenhöfen, aus dem Haushalt verheirateter Leute verbannen zu wollen.“
Für Papst Franziskus finden wir in den Seligpreisungen Jesu das konkrete Programm, um genau diesen Auftrag zur Frömmigkeit oder Heiligkeit zu erfüllen. „Es ist notwendig“, so schreibt Franziskus, „dass ein jeder auf seine Weise das tut, was Jesus in den Seligpreisungen sagt.“ Und was bedeutet das konkret?
„Im Herzen arm sein, das ist Heiligkeit.“
„Mit demütiger Sanftmut reagieren, das ist Heiligkeit.“
„Mit den anderen zu trauern wissen, das ist Heiligkeit.“
„Voll Hunger und Durst die Gerechtigkeit suchen, das ist Heiligkeit.“
„Mit Barmherzigkeit sehen und handeln, das ist Heiligkeit.“
„Das Herz rein halten von allem, was die Liebe befleckt, das ist Heiligkeit.“
„Um uns herum Frieden säen, das ist Heiligkeit.“
„Jeden Tag den Weg des Evangeliums annehmen, auch wenn er Schwierigkeiten mit sich bringt, das ist Heiligkeit.“
Jeder Christ, jede Christin ist zu diesem Weg berufen … nicht, weil er so gut und talentiert ist, sondern weil er durch die Taufe von Gott reich beschenkt wurde und daher berufen ist, als Heiliger zu leben.
Heiligkeit ist also in erster Linie gar keine Leistung, sondern ein göttliches Geschenk. Und mit diesem Geschenk verbindet sich eben auch die Aufgabe, als von Gott beschenkter Heiliger zu leben und damit die Frohe Botschaft Jesu in jener Umgebung, in der wir leben, spürbar werden zu lassen.
Dabei geht es nicht um irgendwelche Ekstasen oder unerklärliche Wunder, die gewirkt werden sollen, sondern es geht vor allem um die „kleinen Details“. Franz von Sales spricht von den „kleinen Tugenden“, die gerade in den Seligpreisungen zum Ausdruck kommen: „Geduld haben, den Nächsten ertragen, Hilfsbereitschaft, Demut, ein freundlicher Mut, Liebenswürdigkeit, Duldsamkeit“ … Diese „kleinen Details“, diese „kleinen Tugenden … sind der Kraft unserer Beine angepasst“
(DASal 6,41) und können daher jeden Tag leicht in die Tat umgesetzt werden. Und genau das ist Heiligkeit, zu der wir alle berufen sind. Amen.
P. Herbert Winklehner OSFS