Predigt zum 7. Sonntag im Jahreskreis (Lk 6,27-38)

Der Stachel der Bergpredigt

„Mein Herr, das will ich unbedingt und ohne Widerrede …. ungeachtet all Eurer Bräuche. Ich befehle dies kraft des heiligen Gehorsames und unter der Strafe der Exkommunikation“ (DASal 8,86) –

Vom wem stammen diese harten Worte? Von niemand anderem als unserem lieben, sanftmütigen, herzlichen und gutmütigen Franz von Sales. „Was willst du immer mit diesem Heiligen?“ hat mir einmal ein Mitbruder gesagt, „der tut doch keinem weh!“ – Sehr richtig: Wer nur seine Honig- und Bienengleichnisse kennt und seine Geschichten von den Hühnern, die nicht fliegen können, der kann sehr leicht auf die Idee kommen, dieser Franz von Sales sei in seinem Reden und Tun nichts anderes als ein zaghafter Waschlappen gewesen, der sich nichts getraut hat.

Das Briefzitat, das ich gerade vorgelesen habe, legt eine andere Sprache an den Tag: „Kraft des Heiligen Gehorsams und unter Androhung der Exkommunikation befehle ich …“ – Franz von Sales der strenge Bischof, der weiß was Sache ist, und der, wenn es sein muss, Leute auch aus der Kirche hinauswirft, weil sie seinen Forderungen nicht entsprechen.

Bei Jesus Christus kann es uns genauso gehen. Der gute Hirte, der seine Schafe hütet, und alle beschützt, der barmherzige Vater, der dem verlorenen Sohn in seine Arme schließt, der heilt und segnet und selbst stadtbekannten Sündern vergibt … der kann einem doch nicht weh tun. Wir wissen, dass das nicht stimmt. Im Tempel von Jerusalem hat er eine Peitsche genommen und die Händler volle Zorn aus dem Tempel hinausgeworfen. Er hat den Feigenbaum verflucht, der keine Früchte hervorbringen konnte und die Pharisäer und Schriftgelehrten beschimpfte er als Schlangenbrut und übertünchte Gräber. Und wer sich seine Bergpredigt liest, der wird sofort erkennen, dass hinter diesem Menschen, dem Sohn Gottes, ein Programm steckt, das radikaler und fordernder nicht sein kann: „Liebt eure Feinde; tut denen Gutes, die euch hassen! Segnet die, die euch verfluchen; betet für die, die euch beschimpfen!“ Alles andere machen ja die Sünder genauso. Wahre Frömmigkeit hört allerdings bei der Sünde nicht auf, sondern hat immer noch ein höheres Ziel.

Einen Abschnitt aus der „Anleitung zum frommen Leben – Philothea“ könnte man als Bergpredigt des hl. Franz von Sales bezeichnet: Manche halten sich für fromm, weil sie jeden Tag in die Kirche rennen, dann aber lassen sie ihrer Zunge freien Lauf und reden schlecht über die Nachbarn und verspotten ihre Hausgenossen. Manche lassen kein Gebet aus, halten sich genau an die Vorschriften, was Fasten oder anderes betrifft, aber hinterrücks haben sie keine Probleme, Verleumdungen und üble Nachreden mit Lust zu verbreiten (Vgl. Philothea I,1, DASal 1,33).

Und wenn sich solche Oberflächenfrömmler dann noch als oberste Autoritäten dafür aufspielen, was wahr und richtig ist, genau dann wird sowohl der sanftmütige Franz von Sales und auch der gute Hirte Jesus ziemlich sauer: Denn ein solches Verhalten hat mit Frömmigkeit überhaupt nichts zu tun. Es ist nichts anderes als ein übertünchtes Grab, das von außen vielleicht sehr schön aussieht, im Inneren aber nichts anderes verbirgt als Dreck und Fäulnis.

Um die Wahrheit geht es, um das Innere, und darum, dass manches Mal Frömmigkeit und Christsein bei weitem mehr ist und bei weitem radikaler, als wir vielleicht oft meinen. Das ist auch die Herausforderung der Bergpredigt, der Stachel, den Jesus in unser Fleisch treibt, damit wir ja nicht vergessen, dass wir nicht besser sind als alle anderen Sünder.

Wer diesen Stachel aushält und nicht aufgibt, diese Radikalität und wahre Frömmigkeit auch wirklich in seinem Leben zu verwirklichen, der kann hoffen, dass er den reichsten Lohn kassiert, den man sich vorstellen kann: Im guten, vollen, gehäuften, überfließendem Maß wird Jesus ihn beschenken – so wie es im heutigen Evangelium verheißen ist. Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS