Predigt zum 5. Sonntag der Osterzeit (Joh 13,31-33a.34-35)

Liebt einander

„Ein neues Gebot gebe ich euch“, so verkündet es Jesus seinen Jüngern beim letzten Abendmahl. Er weiß schon, dass er sterben wird, und so ist dieses neue Gebot praktisch sein Vermächtnis, sein Testament, sein letzter großer Auftrag an alle, die ihm folgen wollen:

„Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben. Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt.“

Einer dieser Jüngerinnen und Jünger Jesu, die dieses „neue Gebot“ ernst nahmen und durch und durch zu ihrem Lebensprogramm machten, das waren der heilige Franz von Sales und die heilige Johanna Franziska von Chantal. Franz von Sales ging in die Kirchengeschichte als „Lehrer der Liebe“ ein. Zusammen mit der heiligen Johanna Franziska von Chantal gründete er die Ordensgemeinschaft der Schwestern von der Heimsuchung Mariens. Durch diese Ordensgemeinschaft soll das Liebesgebot Jesu in dieser Welt verkündet und spürbar werden. Ursprünglich hatten die beiden sogar vor, dass diejenigen, die in ihr neu gegründetes Kloster eintreten, nicht die drei klassischen Ordensgelübde Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam versprechen, sondern nur das eine Gelübde der Liebe … weil eben in diesem Gelübde der Liebe alle anderen Gelübde ohnehin bereits enthalten sind. Leider war dies für die damalige Zeit ein wenig zu neu und modern, sodass sie dafür keine kirchliche Genehmigung erhielten. Das wesentliche Ziel der neuen salesianischen Ordensgemeinschaft aber blieb erhalten: Die Liebe ist das Band der Vollkommenheit und diese Liebe soll das Leben der Ordensschwestern prägen. Genau so, wie es auch Jesus gesagt hat: „Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: Wenn ihr einander liebt.“ Diese Liebe, die von der Liebe zu Gott genährt wird, soll ausstrahlen in der Liebe zu den Nächsten, vor allem durch den Dienst an den Armen und Kranken, also an all jene, die wenig oder keine Liebe in ihrem Leben erfahren.

„Folgen Sie diesem Weg“ sagte Franz von Sales am 6. Juni 1610 bei der Klostergründung zu Johanna Franziska, „und führen Sie auf ihn alle jene, die der Himmel erwählt hat, um in ihre Fußstapfen zu treten.“

Vier Frauen standen am Beginn dieses Weges: Johanna Franziska von Chantal, Charlotte Bréchard, Marie Jacqueline Favre und Anne-Jacqueline Coste … sehr bald kamen weitere Frauen hinzu, neue Klöster mussten gegründet werden. Die Heimsuchung breitete sich aus und wurde zu einem weitverzweigten Baum an Salesianerinnen und Salesianern, die bis heute in der ganzen Welt diese Spiritualität der Liebe zu leben versuchen.

Ein Wermutstropfen ist bei dieser Geschichte immer dabei. Der heiligen Johanna Franziska von Chantal wird vorgeworfen, dass sie ihren Sohn in Stich gelassen hätte, als sie ins Kloster ging. Dieser warf sich nämlich vor ihre Füße, um sie daran zu hindern. Das muss allerdings richtig verstanden werden: Celsus Benignus war zu diesem Zeitpunkt bereits alt genug, um auf eigenen Füßen stehen zu können. Für ihn war außerdem bestens gesorgt. Er hatte bereits eine Anstellung am französischen Königshof. Seine Mutter loszulassen, fiel ihm allerdings trotzdem sehr schwer und daher bleibt diese dramatische Abschiedsszene unvergessen. Liebe ist eben nicht nur ein romantisches Gefühl, Liebe ist viel mehr: es bedeutet auch Loslassen, es bedeutet sich selbst zurücknehmen, um andere wachsen zu lassen. Es bedeutet natürlich auch, den unbegreiflichen Gott auch dann zu lieben, wenn man seine Pläne nicht versteht.

Wir haben heute die Gelegenheit, wieder einmal mehr und tiefer über die Bedeutung der Liebe in unserem Leben nachzudenken. Wie steht es mit meiner Liebe zu Gott, mit meiner Liebe zu den Mitmenschen, mit meiner Liebe zu mir selbst und sogar mit meiner Liebe zu meinen Feinden? Was bedeutet es für mich als Christin und Christ von Heute, wenn Jesus sagt: „Liebt einander“ … denn genau daran werden die Menschen um dich herum erkennen, dass du meine Jüngerin, mein Jünger bist.

„Die Liebe allein bestimmt den Wert unseres Tuns“ (DASal 6,368) ist ein bekanntes Wort des heiligen Franz von Sales. Es kann uns bei unseren Überlegungen über das Liebesgebot Jesu begleiten. Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS