Predigt zum 4. Sonntag im Jahreskreis (Mt 5,1-12a)

Salesianische Revolution

Die Seligpreisungen sind sozusagen die grandiose Ouvertüre zur Bergpredigt – dem großartigen Grundsatzprogramm, das Jesus der Welt verkünden will. Heute könnte man das sein politisches Manifest nennen, das Evangelium im Evangelium, das Fundament seiner ganzen frohen Botschaft. Am Ende der Bergpredigt findet sich daher auch das Gleichnis vom Haus auf dem Felsen: „Wer diese meine Worte hört und danach handelt, ist wie ein kluger Mann, der sein Haus auf Fels gebaut hat. Da können Stürme und Wasserfluten kommen, es wir nicht zerstört werden.“

Das, was Jesus da verkündet, darf man ruhig als revolutionär bezeichnen. Das heißt: Seine Botschaft dreht fast alles um, was in der Gesellschaft Macht und Ansehen genießt. Die Seligpreisungen fassen das praktisch zusammen: Wer ist in den Augen Gottes der Selige, also der Glückliche, der sein Lebensziel – das Leben in Fülle – erreichen wird? Es sind die Armen, die Trauernden, die Gewaltlosen, die Gerechten, die Barmherzigen, die Ehrlichen, die Friedlichen und die Verfolgten. Ihnen – und nicht den Mächtigen, Reichen, Berühmten wird verkündet: „Freut euch und jubelt, euer Lohn im Himmel wird groß sein!“

Normalerweise verbindet man den heiligen Franz von Sales nicht mit dem Wort „Revolution“. Er gilt in der Kirchengeschichte ja als der liebenswürdige Heilige, der Sanftmütige, der Herzliche, der lieber zu milde war als zu streng, dessen Überzeugung es war, mit einem Löffel Honig mehr zu erreichen, als mit einem Fass Essig. Und das ist auch völlig richtig.

Betrachtet man sein Leben und vor allem seine Lehre ein wenig genauer, und vergleicht man sie vor allem mit dem, was zu seiner Zeit auf der kirchlichen und politischen Tagesordnung stand, so kann man durchaus auch bei Franz von Sales von einer Revolution sprechen. Das heißt: Er dreht mit seinen Ansichten fast alles um, was damals gedacht und getan wurde und zeigt auf, dass diese Umkehr der Botschaft des Evangeliums, vor allem den Seligpreisungen und der Bergpredigt Jesu eigentlich viel mehr entspricht.

Das beginnt schon bei seiner ersten Predigt als Neupriester. Bei seiner Antrittsrede als Dompropst verkündet er: „Wir müssen Genf [- die Hochburg der Calvinisten, die sich von der katholischen Kirche abgespalten haben -] zurückerobern.“ Diese Worte haben sicher allen sehr gut gefallen, und in den Köpfen wurde da sicher schon überlegt, wie viele Soldaten und Waffen man für einen solchen Feldzug brauchen wird. Dann jedoch kam der nächste Satz – die Revolution: „Wir müssen Genf zurückerobern, aber nicht mit Waffengewalt, sondern mit den Waffen des Gebetes und der Liebe.“ Da sind dann wahrscheinlich einige Zuhörer gleich etwas enttäuscht gewesen. Und soll ich euch was sagen? Sie hatten Recht … denn Genf wurde damals tatsächlich nicht zurückerobert. Franz von Sales war aber trotzdem davon überzeugt, dass sein Weg der Liebe und des Gebetes der einzig richtige ist, denn dieser Weg ist der Weg Jesu, der Weg seiner Bergpredigt, der Weg des liebenden Gottes – und Gott wird schon wissen, was er daraus machen wird. Wenn wir heute – vierhundert Jahre später – nach Genf schauen, da ist es doch interessant, dass sich heute genau in dieser Stadt die UNO befindet, der Weltkirchenrat, das Internationale Rote Kreuz und viele andere zentrale Organisationen, die sich um den Frieden unter den Völkern und um den Frieden unter den Christen bemühen. Und Franz von Sales ist der Schutzpatron dieser Stadt. Letztlich hat er also diese Stadt also doch erobert, nicht mit Waffengewalt, sondern mit den Waffen der Liebe und des Gebetes.

Ein Wort, das all das Wesentliche der Lehre des heiligen Franz von Sales zusammenfasst und uns die kommende Woche begleiten kann, möchte ich euch noch mitgeben. Es lautet: „Wir wollen kein anderes Muss kennen, als das der Liebe“ (DASal 5,114). Wer so lebt, dem ruft Jesus Christus zu: „Freut euch und jubelt: Euer Lohn im Himmel wird groß sein.“ Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS