Predigt zum 4. Sonntag der Osterzeit Joh (10,27-30)
Füreinander gute Hirtinnen und Hirten sein
Mit dem Bild Jesu als guter Hirte können die Menschen eigentlich immer etwas anfangen, auch wenn das Bild der Schafe nicht mehr so gut ankommt. In diesem Bild des „Guten Hirten“ macht uns Jesus deutlich, dass er jede und jeden einzelnen von uns kennt, dass wir zu ihm gehören, dass er uns beschützt und vor Gefahren rettet. Wir können ihm voll und ganz vertrauen, bei ihm sind wir gut aufgehoben.
Der heilige Franz von Sales hat sich dieses Bild des Guten Hirten zum Vorbild genommen, als er zum Bischof geweiht wurde. Es gibt noch heute einen Bischofsstab von ihm, wo der gute Hirte Jesus in der Krümmung dargestellt ist. Wie sehr Franz von Sales für die Menschen ein „guter Hirte“ sein wollte, das können wir ganz deutlich in seinem Verhalten gegenüber der heiligen Johanna Franziska von Chantal erkennen. Die beiden begegneten einander zum ersten Mal am 5. März 1604. Franz von Sales hielt in Dijon, der Heimatstadt Johannas, die Fastenpredigten. Und Johanna Franziska von Chantal war in einer sehr schwierigen Situation. Drei Jahre zuvor war ihr Ehemann tödlich verunglückt. Sie war plötzlich von einem Tag auf den anderen alleinerziehende Mutter von vier Kindern, von denen der älteste Sohn gerade fünf Jahre alt geworden ist. Dazu musste sie sich als Frau in einer von Männern dominierten Welt bei der Verwaltung ihres Schlosses durchsetzen. Sie suchte Rat bei einem Priester, der sich allerdings alles andere als ein guter Hirte erwies. Im Gegenteil, er verschlimmerte alles noch mehr, in dem er ihr ein strenges, übermäßiges Gebetsprogramm befahl.
Franz von Sales verhielt sich völlig anders. Als erstes hörte er Johanna Franziska einfach zu und nahm sie mit ihren Problemen vollkommen ernst. Schließlich übernahm er ihre geistliche Begleitung und behutsam, Schritt für Schritt fasste Johanna Franziska wieder Hoffnung und Lebensmut. Sie fühlte sich nicht mehr überfordert, sondern verstanden und deshalb bereit, sich den Herausforderungen ihres Lebens zu stellen. Aus dieser geistlichen Begleitung wurde im Laufe der Jahre eine in der Kirchengeschichte wirklich einzigartige geistliche Freundschaft. Beide unterstützten sich gegenseitig und entwickelten sogar Pläne zur Gründung einer neuen Ordensgemeinschaft, in der dieses Prinzip der geistlichen Begleitung und geistlichen Freundschaft grundlegend werden sollte.
Und das ist es auch, was wir von Jesus Christus und am Beispiel dieser beiden Heiligen für uns selbst lernen können. Der Lebens- und Glaubensweg als Christinnen und Christen ist keine Einzelaktion. Es geht immer um das Miteinander, um gegenseitige Hilfe, Austausch, Unterstützung. Im Bild des Evangeliums gesprochen: es geht immer darum, dass wir füreinander gute Hirtinnen und Hirten sind.
Unser Provinzial Pater Josef Költringer OSFS hat dies einmal sehr schön zusammengefasst. Er schrieb: „Franz von Sales und Johanna Franziska von Chantal waren großartige Freunde und Meister des interessierten, tiefen Gesprächs. Sie waren sich wohl bewusst, dass ohne eine ehrliche Kommunikation mit einem Freund und Begleiter Wachstum im zwischenmenschlichen und religiösen Leben nicht möglich ist. Sie wussten auch, dass wir ohne die mildernde, begleitende, fürsorgende, ermahnende Stimme eines Freundes unweigerlich die notwendige Balance im Leben verlieren. Liebevolle, herausfordernde Freunde sind für das christliche Leben ebenso wichtig wie das Gebet und die soziale Gerechtigkeit. Wer die Freundschaft und die Kommunikation vernachlässigt, leistet dem Egoismus und dem Atheismus Vorschub.“
So Pater Josef Költringer OSFS. Vielleicht denken wir heute darüber nach, nachdem wir im Evangelium Jesus als den „Guten Hirten“ erlebten und die erste Begegnung der beiden Heiligen Johanna Franziska von Chantal und Franz von Sales. Amen.
P. Herbert Winklehner OSFS