Predigt zum 3. Sonntag der Osterzeit (Joh 21,1-19)

Berufung: Liebst du mich?

Nach der Auferstehung begegnen die Jüngerinnen und Jünger dem Auferstandenen Jesus Christus auf unterschiedlichste Weise. Die verschiedenen Ostererzählungen berichten davon, eine dieser Erzählungen haben wir gerade gehört.

Am See von Tiberias – auch See Genezareth genannt – sehen die Jünger den Herrn. Es folgt ein reicher Fischfang und das gemeinsame Essen rund um ein Kohlenfeuer. Der Apostel Petrus macht dabei eine besondere Erfahrung. Jesus fragt ihn dreimal: „Liebst du mich?“ … Dreimal antwortet er: „Ja, Herr, du weißt, dass ich dich liebe.“ … Daraufhin setzt Jesus den Petrus in sein Amt ein: „Weide meine Schafe, weide meine Lämmer.“ Es ist die Berufung des Petrus zum Leitungsdienst für die Kirche. Das Wesentliche dabei ist: Jesus geht es nicht um irgendwelche besonderen Fähigkeiten und Talente. Wenn Jesus beruft, dann geht es ihm zuerst um die Liebe. Das wird an dieser Stelle aus dem Johannes-Evangelium sehr deutlich zum Ausdruck gebracht.

Bei der Bischofsweihe des heiligen Franz von Sales am 8. Dezember 1602 in seiner Heimatstadt Thorens südlich des Genfer Sees geschah etwas Ähnliches. Franz von Sales erlebte nämlich während seiner Bischofsweihe eine besondere Gottesbegegnung. Er sah die Dreifaltigkeit über sich, zusammen mit der Gottesmutter Maria, die ihn alle miteinander in seinen Dienst nahmen. Ein Zeuge beschrieb diesen Moment später mit den Worten: „Wie ein Fremder aus der Welt genommen, wurde das Gesicht des Franz von Sales ganz leuchtend.“ Und Franz von Sales selbst berichtet darüber: „Gott hat mich mir selbst genommen, um mich zu sich zu nehmen und mich dann dem Volk zu geben, d. h. Gott hat mich verwandelt von dem, der ich für mich war, zu dem, der ich für die Menschen wurde.“ All das geschah durch die „höchste Vollkommenheit seiner heiligen Liebe.“ (DASal 5,247)

Was können wir aus diesen Berichten für uns heute lernen? Wir alle sind als Christinnen und Christen durch die Taufe zur Nachfolge Jesu berufen. Dabei geht es nicht um irgendwelche besonderen Fähigkeiten, sondern um die Liebe. Berufung bedeutet vor allem die Bereitschaft, Gott zu lieben und sich ihm deshalb ganz zu überlassen. „Ja, Herr, du weißt, dass ich dich liebe“ – „Ja, Herr, nimm mich in deinen Dienst.“

Dieser Dienst sieht dann für jede und jeden Christen anders aus. Bei Petrus war es das Petrusamt, das höchste Amt der Kirche, bei Franz von Sales war es das Amt des Bischofs, des Hirten einer Diözese, es war die Predigt, die Verkündigung der Frohen Botschaft, auch die Diplomatie, die Gespräche mit Vertretern von Staat und Politik, oder einfach das Ruder in die Hand zu nehmen, wenn die Kirche in unruhiges Fahrwasser gerät. In allem aber war das Wesentlichste und Wichtigste immer die Liebe und die Bereitschaft, sich ganz Gott zu überlassen. Das bedeutet Berufung im Sinne des Auferstandenen Jesus Christus.

Wir alle dürfen uns von Gott jeden Tag von Neuem angesprochen fühlen. Jesus fragt uns immer wieder und jeden Tag neu: „Liebst du mich?“ … Er fragt uns auch heute und unsere Aufgabe besteht darin, auf diese Frage zu antworten.

Wem das jetzt alles ein bisschen zu viel ist, den erinnere ich an das Bischofswappen des heiligen Franz von Sales und an das Motto, das er sich als Bischof ausgesucht hat: „Non excidet“, das bedeutet: Wer auf Gott vertraut, wer sich also ganz Gott überlässt und an ihm festhält, der braucht keine Angst zu haben, er wird nicht verloren gehen. Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS