Predigt zum 3. Fastensonntag (Joh 2,13-25)
Aufbauen und Niederreißen
das Evangelium, das wir gerade gehört haben, klingt in unseren Ohren heute wahrscheinlich genauso verrückt, wie vor 2000 Jahren. Wir erleben einen Jesus, der so gar nicht in jenes Bild passt, das wir so gerne von ihm zeichnen: der Heiland, der sich der Sünder, Armen, Kranken, Ausgestoßenen zuwendet, ihnen die frohe Botschaft verkündet, ihnen den liebenden Gott spürbar werden lässt und Hoffnung schenkt. Da wird Jesus plötzlich zornig und wütend. Er nimmt eine Geißel und schlägt auf die Wechsler und Händler ein. Er wirft Tische um und schreit: Raus hier, schafft das hier weg. Und auf die Frage nach dem Beweis dafür, dass er so etwas tun darf, antwortet Jesus: „Reißt diesen Tempel nieder – in drei Tagen werde ich ihn wieder aufrichten“. Wenn man sich das so vorstellt, dann wundert es eigentlich niemanden, dass die Menschen ihn für verrückt erklärt haben: Der dreht ja völlig durch. Heute würde man das zur Verteidigung wahrscheinlich „psychischer Ausnahmezustand“ nennen. Jesus will aber nicht verteidigt werden, denn er steht zu dem, was er tut, denn er wusste, so heißt es am Schluss, was im Menschen ist.
Die Bibel ist das Wort Gottes … das heißt, es spricht auch zu uns hier und heute. Die Herausforderung ist, sich von diesem Wort auch dann ansprechen zu lassen, wenn es nicht so schön ist, nicht so verständlich. Ich hab das für mich versucht und bin an diesem Bild vom Niederreißen und wieder Aufrichten hängengeblieben.
Wer sich ein wenig mit Geschichte beschäftigt, der kommt sehr bald darauf, dass es über die Jahrhunderte hinweg immer wieder Phasen des Niederreißens gab und Phasen des Aufrichtens. Das scheint ein Gesetz der Entwicklung zu sein, dem unsere Welt zu folgen hat. Ich habe viele Beerdigungen zu halten und lasse mir beim Trauergespräch auch immer ein wenig vom Leben der Verstorbenen erzählen. Das tut den Angehörigen nicht nur gut, es zeigt auch, dass es bei jedem Menschen, in jedem Leben, Zeiten des Bauens gibt, aber eben auch Zeiten des Niederreißens. Kein Lebensweg läuft gleichmäßig oder bruchfrei dahin. Und so bin ich sogar dankbar dafür, dass es auch bei Jesus selbst solche Situationen gibt, wie sie uns das heutige Evangelium erzählte: Zorn und Wut und Niederreißen. Auch solche Situationen können einen Sinn haben, der uns vielleicht erst nach der Auferstehung von den Toten so richtig einleuchten wird.
Der heilige Franz von Sales, der sich sehr viel mit den Tugenden und den verschiedenen Temperamenten des Menschen beschäftigte, konnte daher durchaus auch jenen Eigenschaften etwas Positives abgewinnen, die wir normalerweise negativ betrachten. Er kennt, auch wegen seiner Beschäftigung mit Jesus Christus, den heiligen Eifer, den heiligen Zorn, den heiligen Neid und die heilige Eifersucht – vor allem dann, wenn es darum geht, Gott und seine unbegreifliche Liebe zu verteidigen. Und Franz von Sales kennt auch aus eigener Erfahrung den Wert des Loslassens, des Abreißens, des Neuanfangs und des Neuaufbaus. Entscheidend für ihn dabei ist, dass es Gott ist, der bestimmt, wann es Zeit zum Abriss und wann es Zeit zum Neubau ist, meine Aufgabe ist es, dem Willen Gottes zu vertrauen, da sein Wille immer Ausdruck seiner Liebe ist. Einmal sagte Franz von Sales zum Beispiel: „Glücklich jene, die mutig an die Unternehmungen gehen, die Gott ihnen eingibt, diese aber auch loslassen können, wenn Gott es so haben will!“ (vgl. DASal 4,135). Glücklich jene also, die Gott vertrauen, der weiß, was im Menschen ist.
Es gibt in dieser Bibelstelle sicher ein Wort, einen Satz, einen Gedanken, den Gott heute auch zu dir sagt. Das herauszufinden wäre der Auftrag des heutigen Fastensonntags und der kommenden Woche, damit auch wir einmal wie die Jünger sagen können: Wir glauben der Schrift und dem Wort, das Jesus gesprochen hat. Er hat Recht, auch wenn wir es lange nicht begriffen haben. Amen.
P. Herbert Winklehner OSFS