Predigt zum 32. Sonntag im Jahreskreis (Mt 25,1-13)

Leben ohne Liebe ist der Tod

Dieses Gleichnis von den klugen und den törichten Jungfrauen hat nichts mit Chauvinismus zu tun, also mit dem übertriebenen männlichen Verhalten gegenüber Frauen. Bei diesem Gleichnis geht es um etwas völlig anderes. Es steht in der Reihe jener Geschichten, in denen Jesus das „Himmelreich“, das „Reich Gottes“ erklärt. Jede dieser Geschichten beginnt mit dem Satz: „Mit dem Himmelreich – oder mit dem Reich Gottes ist es wie …“ – Und die Grundaussage lautet jeweils: Seid achtsam, passt auf, denn niemand kennt den Tag oder die Stunde, an dem der Herr oder in unserem Fall der Bräutigam kommt.

Die Bedeutung der Achtsamkeit und Wachsamkeit möchte also Jesus seinen Jüngerinnen und Jüngern und damit auch uns heute vermitteln, das Vorbereitet-Sein auf das Kommen des Herrn. Und hier gibt es eben die Klugen – Männer wie Frauen –, die alles tun, um bereit zu sein – und die anderen, die sorglos dahinleben und darauf vertrauen, dass sie dann schon irgendwie in den Hochzeitssaal hineinkommen werden.

Diese Achtsamkeit und Wachsamkeit, dieses Vorbereitet-Sein wird im heutigen Gleichnis mit dem Öl für die Lampen symbolisiert. Es ist wichtig, immer ausreichend Öl zu haben, denn es könnte sein, dass der Bräutigam zu einer Stunde kommt, in der es nicht möglich ist, zu einem Händler zu gehen, um Öl für die Lampen nachzukaufen.

Die Frage, die wir uns also heute stellen könnten, ist die Frage nach diesem Öl – Was könnte dieses Öl in unserem Leben bedeuten? Wovon sollten wir immer genug Vorrat haben, damit wir vorbereitet sind auf das Kommen des Bräutigams?

Vielleicht kann uns der heilige Franz von Sales bei der Antwort auf diese Frage helfen. Er schrieb nämlich einmal in einem Brief folgenden Satz: „Leben ohne Liebe ist sehr viel schlimmer als der Tod“ (DASal 6,75). Das bedeutet: Das Öl, das die Lampen zum Brennen brauchen, war für Franz von Sales die Liebe: die Liebe zu Gott, die Liebe zum Nächsten, die Liebe zu sich selbst. „Die Liebe allein bestimmt den Wert unseres Tuns“ (DASal 6,368). Oder „Die Liebe gibt den Dingen ihren Wert“ (DASal 2,319). Das sind weitere, ganz zentrale Sätze im Werk des heiligen Franz von Sales. Ohne Liebe ist es unmöglich, achtsam, wachsam und bereit zu sein, ohne Liebe ist es unmöglich, den Bräutigam zu empfangen und am Hochzeitsmahl teilzunehmen. Ohne Liebe ist es unmöglich, Jesus nachzufolgen und ein christliches Leben zu führen. Für Franz von Sales ist ein Leben ohne Liebe daher weit schlimmer als der Tod.

Wenn Franz von Sales von Liebe spricht, dann meint er damit allerdings nicht dieses romantische Gefühl, das in den Menschen gerade bei Hochzeiten wachgerufen wird, sein Liebesbegriff geht selbstverständlich viel weiter und viel tiefer, und zwar dorthin, wohin auch Jesus Christus seine Zuhörerinnen und Zuhörer führen will. Die heilige Mutter Teresa hat das einmal auf den Punkt gebracht, als sie sagte: „Liebe – das heißt, lieben auch dann, wenn es weh tut“. Das heißt: Wer liebt, ist bereit, seine eigenen Interessen zurückzustellen, wenn es darum geht, den anderen groß zu machen, den anderen, den Nächsten, Gott – und im jesuanischen Extremfall sogar den Feind. Liebe hat also sehr viel mit Demut zu tun: der andere ist mindestens genauso wichtig wie ich. Oder wie Franz von Sales sagt: „Liebe ist Demut, die zur Höhe steigt, Demut ist Liebe, die sich niederneigt“ (DASal 2,119).

Genau diese Liebe in uns, für die anderen und für Gott, sollen wir achtsam bewahren und immer wieder auffüllen, damit wir bereit sind, wenn der Bräutigam kommt. Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS