Predigt zum 31. Sonntag im Jahreskreis (Lk 19,1-10)
Der liebende Blick Jesu
Vielleicht erinnern wir uns noch daran, dass Papst Franziskus Ende 2015 das außergewöhnliche Heilige Jahr der Barmherzigkeit ausgerufen hat. Er wollte damit uns Christinnen und Christen und die ganze Welt darauf aufmerksam machen, dass Gott ein barmherziger Gott ist und Barmherzigkeit daher in unserem täglichen Verhalten einen sehr hohen Stellenwert besitzt. Im Gebet, das er damals zu diesem Jahr der Barmherzigkeit formulierte, ist der Zöllner Zachäus, von dem das heutige Evangelium erzählt, eigens erwähnt: „Herr Jesus Christus,“ so heißt es da, „dein liebender Blick befreite Zachäus aus der Sklaverei des Geldes.“
Dieser liebende Blick, mit dem Jesus Christus jeden Menschen anschaut, ist also für Papst Franziskus das Wesentliche des heutigen Evangeliums, und auch das Wesentliche, das uns Gottes Barmherzigkeit deutlich macht. Gott schaut auf jeden von uns mit seinem Blick der Liebe.
Seither diesem Heiligen Jahr der Barmherzigkeit sind schon wieder einige Jahre vergangen, und eine Menge ist seither passiert. Die Welt hat sich verändert, eine Krise jagt die andere, und wie es weitergeht, ist nicht abzusehen. Das Thema „Barmherzigkeit“ ist daher heute eigentlich aktueller denn je.
Ich habe nun auch vom heiligen Franz von Sales eine Predigt gefunden, in der er sich mit dem Zöllner Zachäus beschäftigt (DASal 10,330-335). Welche Themen waren nun Franz von Sales dabei wichtig und was können wir daraus für unser Leben lernen?
1) Jesus Christus geht auf den Sünder zu. Er ist in unsere Welt gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist.
2) Auch Zachäus war bereit, auf Jesus zuzugehen. Damit brachte er zum Ausdruck, dass er die Barmherzigkeit Gottes annehmen will. Zachäus war einer, der trotz seines sündigen Lebens die günstige Gelegenheit der Jesus-Begegnung nicht versäumen wollte. Um das zu erreichen, stieg er sogar auf einen Baum.
3) Jesus schaut Zachäus mit „einem Blick der Liebe und des Erbarmens“ an: Wie Papst Franziskus ist also auch Franz von Sales von diesem „liebenden Blick“ Jesu fasziniert. Dieser „Blick der Liebe und des Erbarmens“ ist es, der bei Zachäus die Umkehr und den Wandel bewirkt.
4) Jesus spricht Zachäus mit seinem Namen an. Auch das gehört für Franz von Sales zum „liebenden Blick“ Jesu dazu: Jemandem mit seinem Namen ansprechen heißt: Du bist mir wichtig und wertvoll. Deshalb spielt der Name bei jeder Taufe eine so große Rolle: Gott ruft jeden Menschen mit seinem Namen, weil ihm jeder Mensch wichtig ist.
5) Jesus beschenkt den Sünder mit seiner Gegenwart, in dem er sich in sein Haus einlädt. Was Franz von Sales dabei besonders gefällt, ist die Tatsache, dass Zachäus „sofort gehorcht“. Diese Lektion sollen wir lernen, meint er: Ohne Zögern dem Willen Gottes gehorchen. Wörtlich sagt er: „Es ist zu spät, zum Arzt zu gehen, wenn man bereits gestorben ist … Zachäus war also gut beraten, dass er sofort zustimmte, um Unseren Herrn aufzunehmen.“
6) Und schließlich: Die Gegenwart Jesu schenkt Heilung und Zachäus ist bereit, diese Liebe, die er durch Jesus erfahren hat, in vielfacher Weise durch sein eigenes barmherziges Handeln an die Menschen weiterzugehen. Wer die Liebe Gottes am eigenen Leib erfahren hat, kann einfach nicht anders, als diese Liebe weiterzugeben. Gottesliebe und Nächstenliebe gehören untrennbar zusammen. Weil Zachäus das in „Überfülle“ tat, wurde er und sein Haus zu echten Zeugen der Liebe und Barmherzigkeit Gottes in der Welt.
Lassen wir uns also wie Zachäus von diesem liebenden Blick Gottes anschauen und seien wir bereit, ihn bei uns aufzunehmen. Seien wir bereit, diese barmherzige Liebe, die Gott uns schenkt, an andere weiterzugeben. Amen.
P. Herbert Winklehner OSFS