Predigt zum 25. Sonntag im Jahreskreis (Mk 9,30-37)
Wer ist der Größte?
Wer ist in unseren Augen der Größte? Politisch könnte man hier eventuell den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika nennen, aber natürlich auch andere Frauen und Männer, die an der Spitze eines Staates stehen und die Fäden der Regierung und der Geschicke eines Landes und manchmal sogar der ganzen Welt in Händen halten.
Nicht unterschätzen sollten wir die Geschäftsführer und Besitzer multinationaler Großkonzerne, die mit ihren vielen Milliarden gewaltigen Einfluss auf Politik und Gesellschaft ausüben.
Und die Militärs natürlich. Wer Waffen hat, darf sich groß nennen, weil er Angst schüren und mit Hilfe dieser Angst, seine Gegner unter Druck setzen und seine Ziele erreichen kann.
Groß nennen wir außerdem all jene, die im Rampenlicht stehen. Die Künstler oder Sportler, die alle Welt kennt, der die Massen nachlaufen – wie aktuell etwa Taylor Swift –, weil sie für sie die Größten sind.
Im Blick auf die Katholische Kirche ist es wahrscheinlich der Papst, der als der Größte zu bezeichnen ist. Kirchenhierarchisch gesehen, steht er ja tatsächlich ganz oben und wird sogar „Stellvertreter Christi auf Erden“ genannt – ein Titel, den sonst niemand auf der Welt für sich in Anspruch nehmen darf.
So oder ähnlich denken wir, wenn wir uns fragen, wer den der Größte sei. Und unbewusst blicken wir bei diesem Wort auch sofort hinauf – nach oben. Wir erwarten, dass die Größten immer irgendwie oben sein müssen. Das heutige Evangelium jedoch sagt: Nichts von all dem ist richtig. Das Wort „groß“, „größer“, „am größten“ hat bei Jesus Christus eine völlig andere Bedeutung. Wer den Größten sehen will, dessen Blick muss hinuntergehen. Jesus stellt ein Kind in die Mitte und sagt: „Schaut einmal da hinunter – auf dieses Kleine da – und da könnt ihr lernen, was es heißt, der Größte zu sein.“
Wer der Erste, der Beste, der Größte sein will, der sei der Letzte von allen und der Diener aller.
Wir Menschen müssen uns eigentlich jeden Tag daran gewöhnen, dass Gott unter manchen Begriffen etwas ganz anderes versteht als wir. Der Begriff „groß“ ist dafür ein Musterbeispiel. Die, die wir groß nennen, die Präsidenten, Milliardäre, Künstler- und Sportleridole und auch die kirchlichen Hierarchen, können vor Gott sehr wohl groß sein, jedoch nur unter einer Bedingung: wenn sie die Dienerinnen und Diener aller sind. Wenn sie das nicht sind, nützt ihnen weder Macht, noch Geld, Können oder Glamour: In den Augen Gottes sind sie klein und bedeutungslos.
Jesus Christus selbst ist das Vorbild für diese „Karriere nach unten“. Jesus war Gott – er stand also ganz oben. Er hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er verzichtete auf diese Machtposition und wurde Mensch, ja noch mehr, er wurde zum Diener, zum Sklaven aller Menschen. Und genau deshalb hat ihn Gott erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen: Jesus Christus ist der Herr.
Der heilige Franz von Sales spricht bei der Frage, wer der Größte ist, sehr gerne von der Tugend Demut als Mut zum Dienen, als Mut für die oder den anderen da zu sein, auch wenn ich dafür weder gelobt noch geehrt werde. In den Augen Gottes jedoch ist der Demütige, also der, der dient, der Größte. Und der heilige Franz von Sales sagt uns auch, wie wir diese göttliche Art des Großseins leben sollen. „Ich bin dafür,“ schrieb er einmal in einem Brief, „manchmal niedrige Dienste zu leisten … es muss aber immer fröhlich geschehen.“ (DASal 5,69) Amen.
P. Herbert Winklehner OSFS