Predigt zum 24. Sonntag im Jahreskreis (Lk 15,1-32)

Gottes unermessliche Liebe

Dieses Gleichnis vom verlorenen Sohn oder besser vom barmherzigen Vater ist nicht nur das längste Gleichnis, das Jesus erzählt, es gehört wahrscheinlich auch zu seinen bekanntesten Geschichten. Was wollte Jesus seinen Zuhörerinnen und Zuhörern und damit auch uns heute mit dieser Erzählung deutlich machen?

Er wollte allen zeigen, wie Gott ist und wie wir in seiner Nachfolge als Christinnen und Christen leben sollen.

Dieses Gleichnis macht uns klar, dass wir an einen Gott glauben dürfen, der liebevoll und barmherzig ist, der das Verlorene sucht, der sich danach sehnt und darauf wartet, uns mit offenen Armen zu empfangen und der mit uns ein Fest feiern will – und all das unabhängig davon, ob wir zu den Guten gehören – in der Gestalt des älteren Bruders – oder zu denen, die davongelaufen sind, das Erbe verschleudert haben und schließlich bei den Schweinen gelandet sind.

Mit dieser Geschichte macht uns Jesus allerdings auch auf zwei wichtige Herausforderungen aufmerksam, denen wir uns im täglichen Leben stellen müssen.

Die erste Herausforderung ist, dass Gott uns nicht dazu zwingt, uns ihm zuzuwenden und zu ihm zurückzukehren. Gott ist traurig darüber, wenn wir uns entschließen sollten, ihn zu verlassen. Dann aber wartet er auf uns, er sehnt sich nach uns, um uns endlich wieder in die Arme schließen zu können und mit uns zu feiern, aber er zwingt uns nicht dazu. „Er wirbt um uns“, sagt der heilige Franz von Sales, „er lockt uns liebevoll durch zarte und heilige Einsprechungen“ (DASal 3,129), aber es liegt an uns, wie wir auf diese „liebevollen Lockungen“ Gottes reagieren … vor allem dann, wenn wir erkennen, dass wir umkehren müssen, dass wir uns ändern müssen, weil wir auf den falschen Weg geraten sind. Das ist oft gar nicht so einfach, sich seine Fehler und Schwächen einzugestehen … der verlorene Sohn hat dazu sehr lange gebraucht, bis er sich auf den Rückweg zu seinem Vater aufmachte. Erst im äußersten Elend erkannte er, dass es ihm bei seinem Vater doch besser geht.

Und die zweite Herausforderung dieser Geschichte kann man mit dem Wort Eifersucht zusammenfassen. Da geht es um den anderen Sohn, der brav zuhause geblieben ist und überhaupt nicht damit einverstanden ist, dass sein missratener Bruder so herzlich aufgenommen und sogar das Mastkalb für ihn geschlachtet wurde. Der Vater versucht ihm das zu erklären: „Dein Bruder war tot und lebt wieder, das müssen wir doch feiern!“ Die Geschichte lässt offen, ob der Bruder das verstanden hat. Für uns stellt sich die Frage: Und ich, was würde ich an seiner Stelle tun, wie würde ich in einem solchen Fall reagieren? Eifersucht hat bei Gott jedenfalls keinen Platz. „Gott ergießt seine Liebe auf eine Seele,“ so schreibt der heilige Franz von Sales, „als liebte er nur sie allein. Die Kraft seiner Liebe nimmt nicht ab …, sondern sie bleibt immer voll von ihrer Unermesslichkeit“ (DASal 4,207). Gott liebt den Sünder genauso wie den Heiligen, den Bösen genauso wie den Guten … und er freut sich unendlich, wenn es jemandem gelingt, zu ihm zurückzukehren. Wie geht es mir mit dieser unendlichen Liebe Gottes? Kann ich sie annehmen und halte ich es aus, dass diese Liebe auch jenen gilt, die ganz und gar nicht unseren Vorstellungen von einem guten Christen, einer guten Christin entsprechen?

Lassen wir uns von diesem Gleichnis zum Nachdenken anregen. Über die unendliche Liebe, die Gott zu uns hat … und darüber, dass in jedem Menschen immer beides zu finden ist: der Verlorene, der umkehren muss, und der Zuhausegebliebene, der damit zurechtkommen muss, dass Gott jeden Menschen mit einzigartiger Liebe und Barmherzigkeit in die Arme schließen will. Oder wie der heilige Franz von Sales so schön schreibt: „Tun Sie viel für Gott, aber tun Sie nichts ohne Liebe.“ (DASal 5,65). Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS