Das Herz Jesu

Predigt zum 2. Sonntag der Osterzeit (Joh 20,19-31)

Barmherzigkeit: Die Liebe Gottes spürbar machen

das Heilige Jahr der Barmherzigkeit, das Papst Franziskus ausgerufen hat, ist ein Erfolg. In der ganzen Welt hat man dieses Thema aufgegriffen, überall wurden heilige Pforten der Barmherzigkeit geöffnet, in vielen Pfarrgemeinden wird über dieses Thema gesprochen, plötzlich weiß man wieder, dass es sieben leibliche und sieben geistige Werke der Barmherzigkeit gibt und es gibt tatsächlich Christen, die sie sogar aufzählen können, obwohl sie sich bei den zehn Geboten und den zwölf Aposteln schwer tun, aber die vierzehn Werke der Barmherzigkeit kennen sie: Hungrige speisen, Durstigen zu trinken geben, Nackte bekleiden, Fremde aufnehmen, Kranke pflegen, Gefangene besuchen und Tote begraben – Zweifelnde beraten, Unwissende lehren, Sünder zurechtweisen, Betrübte trösten, Beleidigungen verzeihen, Lästige ertragen und für die Lebenden und Verstorbenen beten.

Offenbar hat Papst Franziskus mit seinem Thema einen Nerv der heutigen Zeit getroffen: der Mensch sehnt sich genau danach, nach Barmherzigkeit – im großen Weltgeschehen genauso wie im ganz kleinen Alltag unserer Beziehungen.

Der heutige Sonntag, der Zweite Sonntag nach Ostern, ist seit dem Jahr 2000 der Sonntag der Barmherzigkeit und ich glaube, erst jetzt wird uns bewusst, wie prophetisch und zukunftsweisend diese Entscheidung von Papst Johannes Paul II. gewesen ist. Bei diesem Sonntag geht es dabei zu allererst nicht um die Werke der Barmherzigkeit, die sich Menschen untereinander schenken sollen, sondern um das Bewusstmachen, dass unser Gott ein barmherziger Gott ist.

Das Evangelium, das wir gerade gehört haben, macht uns das deutlich: der Apostel Thomas glaubt einfach nicht an die Auferstehung. Da können die anderen reden, was sie wollen. Er will handfeste Beweise haben. Wie oft geht es uns genauso, wie viele Menschen kennen wir, die ähnlich reagieren. „Deine Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube“ lässt Goethe seinen Faust sagen, als dieser die Glocken hört, die an Ostern geläutet wurden und die Auferstehung in die Welt tragen.

Wie reagiert Gott auf diesen ungläubigen Thomas? Er reagiert mit Barmherzigkeit: Lieber Thomas, du willst Beweise haben, gut, hier bin ich, hier sind meine Wunden, greif sie an – und sei nicht mehr ungläubig, sondern gläubig.

Thomas wird nicht verurteilt, er wird nicht aus der Apostelgemeinschaft ausgeschlossen, im Gegenteil, Jesus wendet sich gerade ihm zu und lässt ihn sogar seine Herzwunde berühren. Einen intimeren Beweis der Barmherzigkeit Gottes gibt es nicht. Thomas, mein Herz steht dir offen … du darfst es sogar berühren.

Wir dürfen in diesem Jahr der Barmherzigkeit sogar ein wenig stolz darüber sein, dass der heilige Franz von Sales, unser Pfarrpatron, diese Barmherzigkeit und Herzlichkeit Gottes schon lange vor Papst Johannes Paul II. und Papst Franziskus in den Mittelpunkt seiner Theologie gestellt hat. Vor vierhundert Jahren vollendete er sein theologisches Hauptwerk, die Abhandlung über die Gottesliebe, und dieses Werk möchte uns eigentlich nichts anderes mitteilen, als dass Gott ein Gott der Liebe ist, der aus Liebe zu uns sein Herz für uns geöffnet hat, dem Menschen mit Erbarmen und Barmherzigkeit begegnet und nichts sehnlicher wünscht, als dass wir Menschen uns von dieser Liebe Gottes beschenken lassen und mit Liebe antworten, so wie der Apostel Thomas im heutigen Evangelium: „Mein Herr und mein Gott“.

Selbstverständlich weiß auch Franz von Sales, dass ein so beschenkter Mensch diese Liebe nicht für sich behalten kann, sondern hinaustragen muss in die Welt, damit sie auch andere hautnah und real spüren können … und genau daher gibt es eben die Werke der Barmherzigkeit. Sie sind die Antwort des Menschen, die den Barmherzigen Gott erfahren haben. Mit dieser Antwort machen sie Gott in dieser Welt spürbar. Darüber könnten wir am heutigen Sonntag der Barmherzigkeit einmal nachdenken: Wie kann ich Gott in dieser Welt greifbar, spürbar werden lassen. Welches kleine Werk der Barmherzigkeit traue ich mir in meiner kleinen Welt des Alltags zu. Es muss nichts Großes sein. Die vierzehn Werke der Barmherzigkeit bieten eine reiche Pallette an Möglichkeiten an. Ich glaube, da ist für jeden von uns etwas dabei, das man sofort in die Tat umsetzen kann. Amen.

Herbert Winklehner OSFS