Predigt zum 14. Sonntag im Jahreskreis (Lk 10,1-9)

Durch die Wüste

So ist das ganz normale Leben: einmal geht es uns gut und wir stehen in voller Blüte, einmal geht es uns gar nicht gut, wir fühlen uns verdorrt und ausgemergelt, einmal sind wir mitten drin im Wachsen Reifen und Planen und wissen eigentlich noch nicht so recht, wohin sich das Ganze entwickeln wird.

Es gehört zu den Eigenarten der biblischen Geschichte und auch der Geschichte des Christentums, dass selbst dem guten Gläubigen keine dieser Lebenssituationen erspart bleibt. Glaube ist keine Garantie dafür, dass es uns immer gut gehen muss.

Die heutige Lesung berichtet uns von der Freude der Menschen, die aufblühen wie frisches Gras. Das klingt hervorragend und schön. Dieser Freude voraus geht allerdings eine 100jährige Wüstenerfahrung. 100 Jahre lang mussten die Menschen im babylonischen Exil verbringen: in der Fremde, in der Dürre, in der Wüste, in der Trauer, weit weg von allem Trost und allem Frieden.

Im Evangelium werden 72 Jünger ausgesandt. Die Ernte ist groß. Jesus Christus verspricht ihnen allerdings keinen blühenden Erfolg, sondern er weist sie darauf hin, dass dieses Aufgabe auch durchaus anstrengend sein kann: Ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe … und es kann durchaus sein, dass die Leute euch abweisen und nichts von euch wissen wollen.

Wüstenerfahrungen, Krisenzeiten, Dürrephasen gehören offenbar zum Wachstum eines Menschen dazu, selbst dann, wenn er seinen Weg im Glauben und mit Gott geht. In der Mystik des Christentums erleben wir sogar das Phänomen, dass gerade jene, die sich ganz besonders intensiv mit Gott verbinden, die alles hergeben, um nur mehr Gott zu dienen, bedingungslos, ohne Geldbeutel, ohne Vorratstaschen und ohne Schuhe, dass gerade diese Heiligen eine dunkle Nacht erleben, also eine Wüste durchschreiten müssen, um irgendwann am Ende dieser Durststrecke erneut die Freude der Gegenwart Gottes erleben zu können.

Beim heiligen Franz von Sales dauerten diese Krisenzeiten immer nur kurz, die heilige Johanna Franziska von Chantal aber erlebte diese Wüste vierzig Jahre lang.

Warum das so ist, weiß ich leider auch nicht. Ich bin aber durchaus dankbar dafür, dass wir um diese Menschen und ihre Erfahrungen wissen. Sie geben mir nämlich die Sicherheit, dass solche Wüsten- und Krisenzeiten nicht unbedingt ein Zeichen dafür sind, dass ich auf dem falschen Weg bin – oder, dass ich etwas falsch gemacht habe, und Gott mich daher für meine Vergehen in die Wüste schickt.

Das, was ich von diesen Menschen lernen kann, ist viel mehr die Tatsache, dass es nicht notwendig ist, in solchen Situationen den Mut zu verlieren. Irgendwann kommt selbst in den dunkelsten Stunden ein neuer Morgen, irgendwann erreiche ich dennoch mein Ziel, das neue Jerusalem, das nahende Reich Gottes, wo die Freude und der Jubel grenzenlos sein wird – und das Leben in voller Blüte erstrahlen wird.

Das ist die Botschaft der Auferstehung, die uns trägt: Das Kreuz ist nicht das letzte, sondern der Ostermorgen.

Natürlich, es bedarf dazu einer ganzen Menge Vertrauen und Durchhaltevermögen, es braucht Geduld und Ausdauer und die Gewissheit, dass Gott selbst dann bei mir ist und mich trägt, wenn ich kein bisschen von ihm spüre.

„Verlieren Sie nicht den Mut,“ rät daher der heilige Franz von Sales „haben Sie Geduld, lernen Sie warten!“ (DASal 6,135-136). „Es hat noch keiner sein Vertrauen auf Gott gesetzt, ohne dafür reiche Frucht zu empfangen.“ (DASal 2,104) Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS