Predigt zum 11. Sonntag im Jahreskreis (Mk 4,26-34)

Gelassenheit

in einer Großstadt wie Wien gibt es viele Gelegenheiten, die Tugend der Gelassenheit zu trainieren: viele rote Ampeln, warten auf die Straßenbahn, viele Fußgänger, viele Autos, viele Radfahrer, keine Parkplätze usw. Die Chance ungeduldig, nervös, gereizt zu werden ist groß, vor allem, wenn man irgendeinen wichtigen Termin hat, bei dem man nicht zu spät kommen sollte.

Das Gleichnis, das Jesus heute erzählt, lehrt uns ebenso die Gelassenheit. Ein Mann sät die Saat, dann legt er sich nieder, steht wieder auf, es wird Nacht und Tag, der Same keimt und wächst, ohne sein Zutun. Der Sämann braucht nur in aller Geduld und Gelassenheit zu warten: auf den Halm, die Ähre, das reife Korn … und schließlich – mit der Zeit – kommt auch die Zeit für die Ernte.

Nicht nur für das Reich Gottes, also für das Wachsen des Glaubens und der Kirche, sondern für das Leben im Allgemeinen ist Gelassenheit gefragt. Nicht immer liegt es an uns allein, dass etwas gelingt. Wir wollen zwar immer alles gerne im Griff haben, kontrollieren und auch bestimmen, wann was wie zu geschehen hat … aber in der Realität des Lebens ist das oft nicht so einfach, manchmal sogar unmöglich. Und da hilft eben die Gelassenheit. Von meiner Seite her ist alles getan, was zu tun ist … ich habe den Acker bestellt, ich habe die Saat gesät, nun hängt es nicht mehr von mir ab, wann es zur Ernte kommt.

Der heilige Franz von Sales empfiehlt daher seinen Schwestern von der Heimsuchung Mariens: „Festigt euer Herz in dieser heiligen Gelassenheit, nehmt alles an, was man euch geben wird, und verlangt nicht nach dem, was man euch nicht geben will. Mit einem Wort, lasst alles Wünschen, übergebt vielmehr euch und all eure Angelegenheiten ganz und gar der göttlichen Vorsehung.“ (DASal 2,90-91). Und an einer anderen Stelle sagt er: „Fragt euch also jemand: ‚Was wollt ihr morgen tun?‘, dann sollt ihr antworten: ‚Heute tu ich das, was mir für heute aufgetragen ist; was ich morgen tun werde, weiß ich nicht, weil mir nicht bekannt ist, welchen Auftrag ich morgen erhalten werde.‘ Wer so handelt, braucht sich über nichts ärgern; denn wo diese echte Gelassenheit herrscht, kann es keine Unzufriedenheit und keine Vergrämtheit geben“ (DASal 2, 110).

Und dann stellt er wahrscheinlich aufgrund seiner langjährigen Erfahrung mit der Begleitung von Menschen vielleicht etwas ernüchternd fest: „Freilich, in fünf Jahren lernt man dies[e Gelassenheit] nicht, man braucht schon seine zehn Jahre dazu“ (DASal 2, 110).

Man braucht also auch für das Wachsen der Gelassenheit selbst viel Gelassenheit, viele Jahre des Trainierens und Übens.

Was dafür sehr wichtig ist – für Franz von Sales sogar das Fundament und die Voraussetzung für die Tugend der Gelassenheit ist, das ist ein ganz großes Gottvertrauen. Gott ist es, der meine Wege lenkt und leitet, er ist es, der alles im Griff hat und der über das Wachsen und Reifen und Ernten entscheidet. Wer sich voll und ganz in die Hände Gottes fallen lassen kann, der lernt am besten die Tugend der Gelassenheit.

Und der zweite Teil des heutigen Gleichnisses macht uns ja deutlich, dass dieses Vertrauen in Gott nicht unbegründet ist. Da ist das Senfkorn das kleinste aller Samenkörner – und aus diesem winzigen Körnchen, das ich säe, lässt Gott einen Baum entstehen, der größer ist als alle Gewächse, mit vielen großen Zweigen, sodass dort sogar die Vögel des Himmels ihre Nester bauen können.

Oft wissen wir einfach nicht, was sich aus den Samenkörnen, so klein und unscheinbar sie auch sein mögen, irgendwann entwickeln wird. Das Säen ist das Wichtige, die Bereitung des Ackerbodens und das Vertrauen darauf, dass Gott das Unvollendete, das ich begonnen habe, irgendwann nach seinem Willen auch vollenden wird. Das gilt für mein alltägliches Leben, für meinen ganz gewöhnlichen Glauben, für die Kirche und die Welt.

Noch ein Wort des Heiligen Franz von Sales zum Abschluss, das uns deutlich macht, wo hoch er die Tugend der Gelassenheit einschätzt. In einem Brief schreibt er nämlich: „Wer die Gelassenheit bewahren kann …, ist schon beinahe vollkommen“ (DASal 7,61). Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS