„Alles aus Liebe – nichts aus Zwang“

Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Salesianische Spiritualität

„Alles aus Liebe – nichts aus Zwang“

Unter dieses Motto hat die Arbeitsgemeinschaft für Salesianische Spiritualität ihre diesjährige Jahrestagung gestellt, die vom 03. – 05. März 2022 als Digitalkonferenz stattgefunden hat. Auf die rund 30 Teilnehmenden wartete ein vielseitiges Tagungsprogramm mit spannenden Vorträgen, persönlichen Statements sowie salesianischen Gebetsimpulsen.

Das Motto der Tagung verweist auf einen Brief, den der hl. Franz von Sales im Jahr 1604 an Johanna Franziska von Chantal geschrieben hat: „Dies soll die Grundregel unseres Gehorsams sein: Ich schreibe sie in großen Buchstaben: ALLES AUS LIEBE TUN UND NICHTS AUS ZWANG! […] – Ich lasse Ihnen den Geist der Freiheit; nicht jenen, der den Gehorsam verneint, denn dies ist die Freiheit des Fleisches, sondern jenen, der Zwang, Skrupel und Hast ausschließt“ (DASal 5,58).

Mit „Alles aus Liebe, nichts aus Zwang“ griff die Tagung nicht nur eine Grundaussage salesianischer Spiritualität auf, sondern verdeutlichte damit zugleich die besondere geistliche Beziehung zwischen Franz von Sales und Johanna Franziska von Chantal. Gerade im salesianischen Jubiläumsjahr 2022 (= 400. Todestag des hl. Franz von Sales und 450. Geburtstag der hl. Johanna Franziska von Chantal) habe diese besondere geistliche Freundschaft nichts von ihrer Aktualität und Prägekraft für spirituell suchende Menschen heute verloren. Dies unterstrich Dr. Thomas Günther, Leiter der Salesianischen Jahrestagung, in seinen einführenden Worten. Gerade in der Formulierung „Alles aus Liebe, nicht aus Zwang“ werde die Grundausrichtung salesianischer Spiritualität wie in einem Brennpunkt deutlich, so Günther.

Die historisch-spirituelle Einordnung von „Alles aus Liebe, nicht aus Zwang“ bildete einen inhaltlichen Schwerpunkt am ersten Tag der Tagung. So beleuchtete P. Herbert Winklehner OSFS den biografischen Kontext Johanna Franziska von Chantal`. Deutlich wurde dabei ihr besonderer geistlicher Entwicklungsweg hin zu einem Mehr an Freiheit und Liebe. Diese geistliche Haltung wurde der verwitweten Baronin von Chantal in der geistlichen Begleitung durch Franz von Sales aufgezeigt. In einem weiteren Beitrag arbeitete Sr. Franziska von Dohlen OVM den Werdeprozess des spirituellen Grundverständnisses des Bischofs von Genf heraus. So musste sich Franz von Sales als Student im Kontext der zeitgenössischen theologischen Debatten durch persönliche tiefe Glaubenskrisen hindurchkämpfen, um schließlich zu einem von der Liebe durch und durch geprägten befreienden Gottesverständnis zu kommen.

Für die Zeitgenossen von Johanna Franziska von Chantal und Franz von Sales war die Erfahrung von Zwang und Freiheit eine stete Alltagsbegleiterin. Das sog. „lange 16. Jahrhundert“ (1500-1620), so legte Dr. Stefan Hauptmann in seinen historisch-soziologischen Annäherungen anschaulich dar, war maßgeblich durch die sich verfestigende Konfessionalisierung in einem Koordinatensystem von Freiheit und Zwang eingespannt. Der salesianische Geist der Freiheit dagegen bildete eine wesentliche Grundlage für tragfähige zwischenmenschliche Beziehungen der Liebe.

Dass das salesianische Motto „Alles aus Liebe, nichts aus Zwang“ auch heute noch Menschen anspricht und deren Handeln nachhaltig prägen kann, wurde in mehreren persönlichen Statements deutlich. So gab Sr. Teresa Schmidt OVM Einblick in ihre persönliche Berufungsgeschichte und ihr Leben als Schwester im Heimsuchungskloster Zangberg. Moritz Waldhauser, Pastoralpraktikant im Pfarrverband Indersdorf, verwies auf die Innen- und Außenseite von Freiheit, Zwang und Liebe, die einer paradoxen Weise gleichsam unvermischt und ungetrennt zusammenfallen und miteinander verbunden sind. Sr. Lydia-Alexandra Etzinger, Oblatin des hl. Franz von Sales in Linz, beleuchtete die Begriff Liebe und Zwang im Kontext ihres Ordenslebens. So könne die Verpflichtung zum Gebet gerade in spirituell trockenen Zeiten ein gleichsam „seliger Zwang“ sein. Wichtig für das Ordensleben sei, gerade der inneren Liebe treu zu bleiben. Was Freiheit und Zwang im Leben eines Managers bedeutet, wurde im Statement von Harald Lindner deutlich. Im Rückblick auf diverse Lebens- und Berufsstationen gab es immer wieder Entscheidungspunkte, so Lindner, an denen sich für ihn Freiheit als ein Handeln aus Liebe erwiesen hätte.

Am folgenden Tag ordnete Hans Seidl die Dynamik von Freiheit und Zwang im menschlichen Leben in sozial-psychologischer Hinsicht ein. Ausgehend von einer exemplarisch aufgezeigten Differenzierung der verschiedenen Formen von Zwang in der heutigen Gesellschaft zeigte Seidl anschaulich auf, wie Menschen teils in subtiler Form manipuliert werden. Wichtig sei ein Geist der Freiheit – auch in der Kirche – , der sich gegen eine Vereindeutigung wende. Diese Haltung werde mit dem Fachbegriff der Ambiguitätstoleranz auf den Punkt gebracht.

Die grundlegende Polarität von Freiheit und Zwang, in der sich das menschliche Ich immer wieder vorfindet, bildete die thematische Grundfolie am 2. Tagungstag. Anhand von vier zentralen Themenperspektiven wurde die spannende Frage gestellt, ob und ggf. wie das salesianische Diktum „Alles aus Liebe, nicht aus Zwang“ eine mögliche hilfreiche Orientierung in unterschiedlichen Wirklichkeitskontexten darstellte. Diesen Fragen ging in der ersten Themenperspektive „Seelsorge“ Dr. Christian Hartl mit seinem Impuls „Zwang und Missbrauch geistlicher Macht“ nach. So gebe es aktuell eine wachsende Sensibilisierung für die Thematik des Missbrauchs geistlicher Macht. Entscheidend sei, dass Jesus Christus selbst der eigentliche Begleiter im Seelsorgekontext sei. Geistliche Begleitung müsse den suchenden Menschen stets zur Freiheit befähigen. Diese Thematik vertiefte P. Thomas Vanek OSFS mit seinem Blick auf die salesianische Akzentsetzung geistlicher Begleitung. Salesianisch bedeute, so Vanek, vor allem eine Begleitung auf Augenhöhe. Der Begriff „correspondance“  bei Franz von Sales zeige deutlich, dass sich die Begegnung von Gott und Mensch auf Augenhöhe vollziehen kann und soll. Wichtig sei, dass sich ein Mensch, der geistliche Begleitung anbietet, stets selber reflektiere und auch eigene Zwänge erkenne.

Nicht minder spannend gestalteten sich die Beiträge der Themenperspektive „Leitung und Führung“. Sr.  Petra Egeling, Provinzleitern der Deutschsprachigen Provinz der Don Bosco-Schwestern, zeichnete den Geist salesianischer Führung und Leitung anhand der Gründungspersönlichkeiten Sr. Maria Mazzarello und Don Bosco nach. Beide Personen würden sich, so Egeling, in ihrem Führungscharisma deutlich unterscheiden. So könne man Don Bosco als echtes „Führungstalent“ bezeichnen, während Sr. Maria Mazzarello erst langsam in die Führungsaufgabe hineinwachsen musste. Dennoch haben es beide salesianischen Persönlichkeiten auf ihre je eigene Art verstanden, einen gewinnenden Führungsstil salesianischer Couleur auszuprägen. Anschließend stellte P. Josef Költringer OSFS, Provinzialoberer der Deutschsprachigen Provinz der Oblaten des hl. Franz von Sales, zentrale Merkmale salesianischen Führungsstils heraus. Die wichtigste Tugend im Kontext des Führens, so Költringer, sei das Vertrauen in Gott, zu den Menschen und sich selbst.

Mit „Job und Arbeitswelt“ wurde eine dritte Themenperspektive eingeführt. Nico Lindner gab einen persönlichen Blick, welchen hohen Stellenwert das Thema „Freiheit“ und damit Authentizität für seine eigene Berufswahl bzw. seine weiteren Entscheidungen im Beruf einnimmt. Dr. Thomas Günther stellte in Grundzügen das Konzept „New Work“ vor. Dessen Begründer, Frithjof Bergman, erkenne gerade in der Sinnfrage einen zentralen Aspekt für eine zeitgemäße und damit attraktive Ausgestaltung beruflicher Arbeit. Jun.-Prof. Dr. Lana Ivanjek stellte in ihrem Beitrag die Bedeutung von Freiheit und Verpflichtung für Mitarbeitende in Einrichtungen und Werken der salesianischen Ordensfamilie heraus. Der salesianische Ansatz „Alles aus Liebe, nichts aus Zwang“ zeige eine Haltung auf, die von den Mitarbeitenden gut in das berufliche Tun und darüber hinaus als Lebensstil integriert werden könnten.

Die vierte und letzte Themenperspektive beleuchtete das Themenfeld „Frau und Mann“. Wie es in der Realität um Geschlechtergerechtigkeit bestellt ist, darauf ging Anja Willeke ein. Die Heiligen Johanna von Chantal und Franz von Sales könnten neben weiteren inspirierenden Persönlichkeiten der Spiritualitätsgeschichte auch uns heute Vorbild sowohl für persönliches und spirituelles Wachstum sein. Dr. Andreas Schmidt, Spiritual im Priesterseminar der Erzdiözese München und Freising, stellte in seinem Beitrag „Priesterausbildung und Entscheidungsfindung im Blick auf die Wahl der zölibatären Lebensweise“ heraus, dass es dabei stets um eine Perspektive der Liebe ginge. Diese habe der hl. Franz von Sales in seiner Schrift „Abhandlung über die Gottesliebe“ facettenreich beschrieben. Den Abschluss der Tagung bildete ein Grundsatzreferat von Prof. Dr. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz zum Thema „Frau in der Kirche“. Gerl-Falkovitz zeigte an exemplarischen Frauengestalten der frühen Kirche den Beitrag des Christentums zur existentiellen Befreiung von Frauen auf. Auch an der Person Johanna Franziska von Chantal` werde diese freisetzende Wirklichkeit deutlich. So bestehe zwischen ihr und Franz von Sales eine kongeniale Qualität des Zusammenwirkens sowie eine vitale Asymetrie. Johanna Franziska ging als Frau und Ordensgründerin konsequent und authentisch den Weg der Liebe bis zum Ende.

„Es war eine großartige Tagung“, so resümierte ein Teilnehmer die vielgestaltigen Inputs und Beiträge der Salesianischen Jahrestagung 2022 und sprach dabei vielen Teilnehmenden aus der Seele. Die inhaltlichen Beiträge gaben so manche Anregung zum Weiterdenken und Vertiefen. Auch die Musik- und Gebetsimpulse, von Anja Lindner einfühlend und ansprechend vorgetragen, haben das salesianische Tagungsmotto „Alles aus Liebe, nichts aus Zwang“ für die Teilnehmenden ganzheitlich erfahrbar werden lassen.

Dr. Thomas Günther, Paderborn