Predigt zum 6. Sonntag der Osterzeit (Joh 14,23-29)
Werk der Barmherzigkeit: Lästige geduldig ertragen
Kaum ein Werk der Barmherzigkeit kann wahrscheinlich öfter geübt werden als jenes, über das wir heute ein wenig nachdenken wollen: „Lästige geduldig ertragen“.
Lästige haben wir in irgendeiner Form immer um uns: im Kloster, am Arbeitsplatz, in der Ehe, in der Familie, in der Schule, im Straßenverkehr, egal wo wir uns befinden – ja, und selbst dort, wo wir ganz allein sind, denn da kann es dann durchaus passieren, dass wir uns selbst auf die Nerven gehen.
Daher empfiehlt uns auch der heilige Franz von Sales: „Man muss Geduld haben, vor allem mit mir selbst.“
„Wölfe und Bären“, so sagt er, „sind gewiss gefährlicher als Mücken, sie plagen, ärgern und reizen uns aber bestimmt nicht so zur Ungeduld.“ Daher sollten wir in unserem alltäglichen Leben unsere Kräfte und unsere Konzentration nicht für den Kampf gegen Wölfe und Bären einsetzen, denen wir ohnehin nur sehr selten begegnen, sondern zum Ertragen der lästigen Mücken, die dauernd um uns herumschwirren. Die beiden Tugenden Sanftmut und Geduld sind dabei für ihn die bewährtesten Gegenmittel.
Dass das nicht einfach ist, weiß Franz von Sales natürlich auch. Wenn man sich seine Briefe durchliest, dann merkt man, dass er immer wieder mit genau diesem Problem konfrontiert war, dass Menschen ihn fragten, wie sie denn gerade mit jenen Mitmenschen umgehen sollen, die ihnen lästig sind oder auf die Nerven gehen. Er empfiehlt folgende Strategien, von denen uns manche heute vielleicht etwas ungewöhnlich oder altmodisch erscheinen. Wir dürfen selbst entscheiden, ob wir damit etwas anfangen können:
1) Eine ordentliche Vorbereitung auf den Tag: Wenn ich schon am Morgen weiß, dass ich es heute mit einem besonders lästigen Mitmenschen zu tun bekomme, dann soll ich mich positiv darauf einstellen, indem ich Gott bitte, er möge mir die Kraft zu Sanftmut und Geduld geben, wenn ich diesem Menschen begegne.
2) Ein zweites Mittel ist der Schutzengel, den jeder Mensch, also auch der lästigste, an seiner Seite hat. Ich kann diesen Schutzengel bitten, dass er mir bei der Begegnung hilft, trotz aller Lästigkeit freundlich und gelassen zu bleiben.
3) Ein drittes Mittel nennt Franz von Sales „aufopfern“. Das klingt in unseren heutigen Ohren eher negativ, hat aber eine sehr positive Wirkung: Dem, was ich durch den lästigen Zeitgenossen zu ertragen habe, gebe ich einen Sinn, in dem ich es für andere aufopfere, das heißt, es möge anderen helfen, ihr Leid, das viel größer ist als meines, leichter zu ertragen.
4) Schließlich empfiehlt Franz von Sales das Segnen. Er selbst hat sich angewöhnt, am Beginn des Tages all jene Menschen zu segnen, denen er heute begegnen wird. Segnen bedeutet: Gott sagt zu jedem Menschen, es ist gut, dass es dich gibt, du bist mein Geschöpf, ich habe dich erschaffen, ich begleite dich mit meinem Schutz. Wenn ich vor einer Begegnung die Menschen segne, stelle ich mich positiv auf diese Begegnung ein, und es macht mir bewusst, dass selbst der lästigste Mensch, ob mir das passt oder nicht, ein Geschöpf Gottes ist, der von Gott geliebt und mit einer einzigartigen Würde beschenkt ist.
Das alles sind Mittel, die mir helfen können, dieses sehr schwierige und sehr alltägliche Werk der Barmherzigkeit, nämlich Lästige geduldig zu ertragen, in meinem Leben zu verwirklichen.
Was einem jedoch nach Franz von Sales am meisten hilft, das ist die Geduld mit sich selbst. Sehr oft empfinden wir den anderen nämlich gerade deshalb als lästig, weil wir uns gerade selbst nicht aushalten können. Wer allerdings Geduld hat mit seinen eigenen Fehlern und Schwächen, der tut sich auch leichter, die Lästigkeiten des anderen zu ertragen. „Daher heißt es,“ so meint Franz von Sales, „Geduld haben mit allem, in erster Linie aber mit sich selbst.“ (DASal 6,91).
Im heutigen Evangelium versichert uns Jesus, dass er uns den Heiligen Geist als Beistand sendet. Das heißt: wenn wir daran glauben, dass Jesus Christus das, was er verspricht, auch hält, dann können wir darauf vertrauen, dass wir von Gott nie allein gelassen werden. Wir leben in seiner Gegenwart. Unser Herz braucht sich daher nicht zu beunruhigen und nicht zu verzagen, vor allem nicht im alltäglichen kleinen Kampf gegen all die lästigen Mücken um uns und vor allem in uns. Amen.
P. Herbert Winklehner OSFS