Predigt zum Pfingstfest (1 Kor 12,3b-7.12-13, Joh 20,19-23)
Bunte Kirche
In der Pfarre Franz von Sales in Wien gab es – corona-bedingt – in diesem Jahr eine besondere Aktion zur Vorbereitung auf das Pfingstfest. Wir erinnern uns: fast zwei Monate lang fanden öffentliche Gottesdienste nicht statt und auch keine anderen Veranstaltungen. Das Gemeindeleben wurde praktisch in Quarantäne geschickt. Um deutlich zu machen, dass Kirche trotzdem lebendig ist, rief man nun die Aktion „Kirche bauen aus lebendigen Steinen“ ins Leben. Alle – Große und Kleine – wurden eingeladen, einen Stein zu sammeln, diesen bunt zu bemalen und in die Kirche zu bringen, um deutlich zu machen: Ich bin mit meinen bunten Fähigkeiten und Talenten ein Teil der Kirche. Ich gehöre dazu, so wie ich bin. Biblischer Hintergrund der Aktion war ein Wort aus dem 1. Petrusbrief: „Kommt zum Herrn, dem lebendigen Stein, der von den Menschen verworfen, aber von Gott auserwählt und geehrt worden ist! Lasst euch als lebendige Steine zu einem geistigen Haus aufbauen“ (1. Petrusbrief 2,4-5). Dazu das Wort des heiligen Franz von Sales, des Patrons der Pfarrgemeinde: „Wollt ihr als lebendige Steine in die Mauern des himmlischen Jerusalem eingefügt werden? … Kommt und stellt euch der Kirche vor!“ (Franz von Sales, DASal 10,246). Im Laufe der Osterzeit entstand auf diese Weise tatsächlich eine bunte Kirche aus lebendigen Steinen. Es wurde dadurch sichtbar, was in der heutigen Lesung der Apostel Paulus in seinem 1. Korintherbrief über die Kirche verkündete: Wir alle sind ein Leib mit vielen Gliedern, mit verschiedenen Gnadengaben, Diensten und Kräften. Durch den Heiligen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen.
Das feiern wir am Pfingstfest: die Geburtsstunde einer lebendigen bunten Kirche, hervorgerufen durch die Ausgießung des Heiligen Geistes: der Sturmwind und die Feuerflamme, die Energie der göttlichen Liebe, die die Apostel hinaustrieb in die ganze Welt um die Kirche aus lebendigen, bunten Steinen zu bauen.
Im heutigen Evangelium durchbricht Jesus Christus die verschlossenen Türen und bricht in die verängstigte Schar seiner Jüngerinnen und Jünger ein, um sie aus der Lethargie des Todes zu befreien. Und was tut er? Er wünscht ihnen den Frieden, Schalom, das Leben in Vollendung und er haucht ihnen dazu den Heiligen Geist ein: „Empfangt den Heiligen Geist.“ Am Pfingstfest dann kennt dieser Heilige Geist kein Halten mehr. Ein Brausen entsteht, ein heftiger Sturm, Zungen wie von Feuer erscheinen, eine Getöse erfüllt die Straßen und die Apostel werden hinausgetrieben, um der ganzen Welt in allen „Sprachen Gottes große Taten zu verkünden.“ Aus den verängstigten Aposteln werden tollkühne, multinationale Botschafter des Glaubens.
Lassen wir uns doch auch in diesem Jahr vom Geist Gottes anstecken. „Lassen wir uns“, wie es der heilige Franz von Sales formuliert, „in aller Freiheit vom milden Wehen des Heiligen Geistes vorwärts bewegen und tragen“ (DASal 3,157). Erkennen wir neu unsere verschiedenen „Gnadengaben“ und „Kräfte“, unsere von Gott geschenkten Talente und Fähigkeiten und stellen wir sie ihm zur Verfügung, damit er seinen Leib, die Kirche, weiter aufbauen kann.
„Bei der Schöpfung befahl Gott den Pflanzen, Frucht zu tragen, jede nach ihrer Art (Gen 1,11). So gibt er auch den Gläubigen den Auftrag, Früchte der Frömmigkeit zu tragen; jeder nach seiner Art und seinem Beruf“, schreibt Franz von Sales in seinem Buch „Anleitung zum frommen Leben – Philothea“ (I,3). Das Pfingstfest erinnert uns jedes Jahr daran, dass wir zu diesem Auftrag nicht nur berufen, sondern auch mit dem Heiligen Geist, der Kraft und Energie Gottes selbst befähigt sind. Amen.
P. Herbert Winklehner OSFS