Predigt zum Hochfest Maria Aufnahme in den Himmel (Lk 1,39-56)
Heiligkeit
in seinem Apostolischen Schreiben „Gaudete et exultate“ – „Freut euch und jubelt“, das im März dieses Jahres erschien, beschäftigt sich Papst Franziskus mit dem Thema „Heilig sein in der Welt von heute“.
Er räumt darin mit einem Missverständnis auf, das in der Welt weit verbreitet ist. Wenn wir das Wort „heilig“ hören, dann denken wir sofort an all jene großartigen Frauen und Männer der Kirchengeschichte, die selig- oder heiliggesprochen wurden. Und jeder meint dann sofort: Das schaffe ich nie, das ist für mich unerreichbar. Heiligkeit ist also etwas für die Größten und Besten – aber nichts für mich einfachen Christen.
Papst Franziskus sieht das ganz anders. Er spricht von den „Heiligen von nebenan“. Also von den ganz normalen Christen, die in ihrem Umfeld ihre Berufung zur Heiligkeit leben. Und damit sieht er das ganz genauso wie der heilige Franz von Sales vor vierhundert Jahren: Heiligkeit ist kein Privileg einiger weniger herausragender Persönlichkeiten, heilig sind wir alle – nicht, weil wir so gut oder gar etwas Besseres wären, sondern weil uns von Gott durch die Taufe die Heiligkeit geschenkt wurde. Und weil wir durch die Taufe heilig sind, sind wir auch dazu berufen, als Heilige zu leben – und zwar mit genau den Fähigkeiten, die Gott mir geschenkt hat. Um heilig zu leben, muss ich also nichts Besonderes tun, sondern nur das sein, was ich bin, und das gut. „Seien wir doch was wir sind,“ schreibt Franz von Sales, „und seien wir es gut“.
Wenn wir heute das Fest der Aufnahme Mariens in den Himmel feiern, dann geht das eigentlich in die gleiche Richtung. Wir feiern nicht die Heiligkeit einer für alle Menschen unerreichbar großen Persönlichkeit der Kirchengeschichte. Nein, wir feiern den Lebensweg einer Frau, die ihre Fähigkeiten, die sie von Gott geschenkt bekam, ganz einfach Gott zur Verfügung stellte – und zwar in allen Höhen und Tiefen, die sie in ihrem Leben erfahren musste.
„Meine Seele preist die Größe des Herrn – und mein Geist jubelt über Gott meinem Retter. Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut. Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter“.
So redet nicht jemand, der voll und ganz von sich selbst eingebildet ist und meint der Größte zu sein, nein, hier spricht jemand, der sich von Gott reich beschenkt weiß – „voll der Gnade“. Daher schreibt Papst Franziskus auch am Ende seines Apostolischen Schreibens:
„Mein Wunsch ist es, dass Maria [alle meine] Überlegungen kröne, weil sie wie keine andere die Seligpreisungen Jesu gelebt hat. Sie erbebte vor Freude in der Gegenwart des Herrn, sie bewahrte alles in ihrem Herzen und ließ es von einem Schwert durchdringen. Sie ist die Heilige unter den Heiligen, die Hochgebenedeite, die uns den Weg der Heiligkeit lehrt und uns begleitet. Sie nimmt es nicht hin, dass wir fallen und liegen bleiben, und zuweilen nimmt sie uns in ihre Arme, ohne uns zu verurteilen. Das Gespräch mit ihr tröstet uns, macht uns frei und heiligt uns. Die Mutter braucht nicht viele Worte, sie hat es nicht nötig, dass wir uns anstrengen, um ihr zu erklären, was uns passiert. Es genügt, ein ums andere Mal zu flüstern: ‚Gegrüßet seist du, Maria …‘“
Maria war und ist jene „Heilige von Nebenan“, die durch kleine unscheinbare Gesten und Details ihre Heiligkeit bis zur Vollendung lebte – und damit bleibt sie uns ein Vorbild auf unserem eigenen Weg der Heiligkeit:
Ich bin die Magd des Herrn: Das bedeutet: Ich stelle mich Gott aus ganzem Herzen zur Verfügung.
Dein Wille Geschehe bedeutet: Egal, was auch geschieht, ich vertraue dir, dass du, Gott, das Beste für mich willst.
Tut, was Jesus euch sagt, bedeutet: Ich trage durch mein Leben dazu bei, dass auch andere Jesus nachfolgen.
Ich bewahre alles in meinem Herzen bedeutet: Ich lasse Gott in mein Herz hinein. Ich bleibe Jesus treu, selbst unter dem Kreuz: Weder Leid noch Tod, nichts kann mich von der Liebe Christi trennen.
Nehmen wir das heutige Fest der Aufnahme Mariens in den Himmel zum Anlass, über unsere eigene Heiligkeit nachzudenken, nicht, weil wir so gut sind, sondern weil wir von Gott reich beschenkt wurden. Amen.
P. Herbert Winklehner OSFS