Predigt zum Gründonnerstag (Joh 13,1-15)

Was wirklich wichtig ist …

Zur Zeit des heiligen Franz von Sales vor 400 Jahren waren Seuchen eine fast jährlich auftretende Erscheinung. Ob es tatsächlich immer die Pest war, die in irgendeinem Dorf oder einer Stadt wütete, lässt sich heute nicht mehr feststellen. Ob Pest oder nicht, das Ergebnis war das gleiche: die Seuche betraf ganze Landstriche und tötete die Bevölkerung massenweise.

1608 wütete diese „Pest“ wieder einmal in einem Teil der Diözese Genf, in der Franz von Sales Bischof war. Seine Reaktion darauf war wie bei jeder Seuche: den Menschen muss geholfen werden, er selbst ist bereit, sofort in das Seuchengebiet zu gehen, um für die Menschen da zu sein. Damals war das nicht notwendig. Franz von Sales stellte nämlich fest, dass sich die Bevölkerung in ganz ausgezeichnetem Maße in der Nächstenliebe bewährte, in der Liebe zu den Kranken und Sterbenden. Niemand lief vor dieser Herausforderung davon.

Derzeit erleben wir Ähnliches. Die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung ist groß. Das Wort „gemeinsam schaffen wir das“ ist seit Beginn der Pandemie zum großen Motto geworden. Worte wie Solidarität, Hilfsbereitschaft, Rücksicht auf die Schwachen, Alten und Kranken, Helden des Alltags machen plötzlich Schlagzeilen. Und das ist nicht nur gut, sie helfen uns auch besser verstehen, was die letzten Botschaften Jesu beim letzten Abendmahl waren.

Er, der Meister und Herr, wäscht seinen Jüngern die Füße und sagt: „Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe.“ Etwas später wird er diese Haltung der dienenden Liebe noch einmal unterstreichen: „Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben“ (Joh 13,34).

Jede Krise ist auch eine Chance. Sie hilft uns, innezuhalten und darüber nachzudenken, was denn im Leben wirklich wichtig ist, worauf es tatsächlich ankommt. Leider ist es so: Solange etwas selbstverständlich ist, wird es nicht geschätzt. Muss man einmal darauf verzichten, erkennt man wieder besser dessen Wert. Wie selbstverständlich haben wir jedes Jahr Ostern gefeiert, und das Interesse daran wurde immer weniger. In diesem Jahr ist es anders: Wir können Ostern nicht wie jedes Jahr feiern – und plötzlich erkennen wir, wie wertvoll dieses Fest für jede und jeden von uns ist, wie sehr dieses Fest, seine Rituale und Symbole unseren Alltag beeinflusst haben.

Das Wesentliche sind aber nicht irgendwelche Äußerlichkeiten, sondern diese Botschaft, die hinter allem steckt, die Botschaft des leidenden, sterbenden, gekreuzigten und schließlich auferstandenen Jesus Christus: „Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben.“

Wenn uns das wieder neu ins Bewusstsein kommt, dann ist dieses Osterfest des Jahres 2020 tatsächlich ein ganz besonderes. Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS