Predigt zum 5. Sonntag der Osterzeit (Joh 15,1-18)

Ohne Gott geht nichts

Jesus Christus verwendet gerne Bilder aus der Lebenswelt seiner Zuhörerinnen und Zuhörer. Ein Beispiel dafür ist das Bild des Weinstocks: Ich bin der Weinstock, mein Vater ist der Winzer, ihr seid die Reben.

Jede und jeder wusste, was das bedeutet. Der Winzer war ein hochgeachteter Berufsstand, der Weinstock ein edles Gewächs – und die Reben, die keine Frucht bringen, gehören abgeschnitten. Das war also völlig klar … genauso klar wie die andere Aussage: eine Rebe ohne Weinstock ist sinnlos. Sie braucht den Weinstock um fruchtbar zu sein.

Getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen – so wie die Reben ohne den Weinstock keine Früchte tragen können. Diese Aussage Jesu leuchtete also allen ein, weil ihnen allen das Bild des Weinstockes und der Reben klar waren.

Der heilige Franz von Sales verwendete auch gerne Bilder und Vergleiche aus der Lebenswelt seiner Mitmenschen – und da spielte auch der Wein eine Rolle. Wer auf der Wanderung innehält und einen Schluck Wein trinkt, dessen Wanderung wird nicht gebremst, sondern im Gegenteil, der Wanderer stärkt sich, um nachher kräftiger weiterwandern zu können. Er zieht diesen Vergleich, um deutlich zu machen, wie wichtig und wertvoll das Gebet ist, das Gespräch und der Kontakt mit Gott. In seiner alpinen, gebirgigen Umgebung hat das jeder und jede verstanden: Das Gebet gibt Kraft für den weiteren Lebensweg, ohne Gebet wird man schneller müde.

Davon war Franz von Sales auch wirklich überzeugt. In seiner „bischöflichen Lebensregel“, also in seinen Zielen, die er sich für seine Aufgabe als Bischof stellte, steht zum Beispiel: Mein kontemplatives Leben, das Gebet, die Betrachtung, die Meditation, sind die Voraussetzung für meine Amtsgeschäfte. Ich werde daher nie auf diese Zeiten verzichten.

Einem Bischof nimmt man das ab. Genauso wie einer Ordensfrau oder einem Ordensmann. Ohne Gebet gehe ich irgendwann K.O. Gebet, Meditation, Betrachtung, die Heilige Messe sind Kraftquellen, damit ich meine Aufgaben gut erledigen kann.

Gilt das auch für andere? Für Eltern, Schüler, Lehrer? Für das Büro, die Firma, den Straßenbahnfahrer, Arzt oder Ingenieur? Den Bankbeamten, Politiker oder Bestatter?

Franz von Sales meint: Das gilt für alle, ohne Ausnahme. Ohne Gebet, ohne Gott, ohne ein regelmäßiges Glaubensleben werde ich nicht glücklich. Wörtlich schreibt er in seinem Buch Philothea: „Die Frömmigkeit passt zu jedem Stand und Beruf. Frömmigkeit verdirbt nichts, im Gegenteil, sie macht alles vollkommen. Jeder Mensch wird wertvoller in seinem Beruf, wenn er die Frömmigkeit damit verbindet. Die Sorge für die Familie wird friedlicher, die Liebe zum Ehepartner echter, der Dienst am Vaterland treuer und jede Arbeit angenehmer und liebenswerter.“ (Philothea I,3).

Damit spricht Franz von Sales eigentlich nichts anderes aus, als was uns Jesus Christus im heutigen Evangeliums erklären wollte: „Getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen. Wer aber in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht“.

Glaube, Frömmigkeit, Gottesbeziehung, Gebet – egal wie wir es nennen, also der persönliche Kontakt mit Gott ist keine Belastung, sondern bedeutet Lebensglück, Leben in Fülle.

Der polnische Klaviervirtuose Ignaz Josef Paderewski hat das einmal für sein Spezialgebiet so erklärt: „Wenn ich einen Tag nicht auf dem Klavier übe, dann merke ich es selbst. Wenn ich zwei Tage nicht übe, merken es meine Kritiker. Wenn ich drei Tage lang nicht übe, merkt es das Publikum.“

Gilt das auch für die Gottesbeziehung? Leben ich einen Tag ohne Gott, merke ich es selbst; lebe ich zwei Tage ohne Gott, merken es meine Kritiker, lebe ich drei Tage ohne Gott, merken es alle.

Getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen, sagt Jesus. Wer aber in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht. Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS