Predigt zum 5. Fastensonntag (Joh 11,3-7.17.20-27.33b-45)

Unseren Blick weiten

Der heilige Franz von Sales empfiehlt uns: „Schauen Sie viel auf die Ewigkeit, auf die Sie hinstreben“ (DASal 6,360). Damit möchte er unseren Blick weiten, hin zur himmlischen Herrlichkeit, zu der wir unterwegs sind. Er macht uns also aufmerksam darauf, dass Glaube, Frömmigkeit, Gottesbeziehung und Gebet zu den wesentlichen und wichtigen Dingen des Lebens gehören. Vielleicht lässt uns diese Zeit, die wir gerade erleben, genau das wieder bewusster wahrnehmen. Viele Dinge, die so wichtig und unverzichtbar waren, treten ja derzeit völlig in den Hintergrund, anderes, was kaum beachtet wurde, steht wieder im Fokus des Interesses.

Das heutige Evangelium von der Auferweckung des Lazarus enthält eine Reihe sehr schöner und sehr wichtiger Aussagen, die es wert sind, darüber nachzudenken und diese zu verinnerlichen.

Gleich zu Beginn begegnen wir zum Beispiel dem Satz: „Herr, sieh: Der, den du liebst, er ist krank.“ Diese Aussage macht uns deutlich: Es ist wirklich jederzeit möglich, sich an Jesus Christus zu wenden und ihn mit unseren Sorgen und Nöten zu konfrontieren, denn er liebt uns und wir dürfen uns sicher sein, er nimmt uns ernst. In unseren Kirchengebäuden finden derzeit keine Gottesdienste statt, aber sie sind dennoch geöffnet und das „Ewige Licht“ brennt vor dem Tabernakel als Zeichen, dass Jesus Christus trotzdem da ist. Vielleicht nehmen wir uns genau jetzt dafür Zeit, ihm unsere Anliegen mitzuteilen.

Gleich nach obiger Aussage sagt Jesus: „Diese Krankheit dient der Verherrlichung Gottes.“ Es geht also immer um die Verherrlichung Gottes bei allem und in allem, selbst in den Widrigkeiten des Lebens. Alles, was wir tun und sagen, soll der Verherrlichung Gottes dienen. Wann hab ich mir eigentlich das letzte Mal die Frage gestellt, ob meine Art und Weise zu leben der Verherrlichung Gottes dient? Kann ich mir überhaupt vorstellen, dass selbst schwierige und leidvolle Situationen des Lebens den Sinn haben können, der Verherrlichung Gottes zu dienen?

Ein weiteres Wort aus dem Evangelium lautet: „Alles, worum du Gott bittest, wird Gott dir geben.“ Darin drückt sich das uneingeschränkte Vertrauen in Jesus Christus aus. Wir können uns also jederzeit sicher sein, dass Jesus Christus unsere Anliegen zu Gott Vater bringt, denn Jesus „ist die Auferstehung und das Leben. Wer an ihn glaubt wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an ihn glaubt, wird auf ewig nicht sterben.“ Jesus Christus stellt uns allen, hier und jetzt, diese entscheidende Frage: „Glaubst du das?“ Die Antwort Martas ist eindeutig: „Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen soll.“ Wie lautet heute meine persönliche Antwort auf diese Frage Jesu? Welche Antwort gebe ich?

Dass wir Jesus Christus voll und ganz vertrauen können, zeigt uns auch seine Begegnung mit dem verstorbenen Freund Lazarus. „Jesus war im Innersten erregt und erschüttert.“ Jesus ist das Schicksal der Menschen eben nicht egal. Es lässt ihn ganz und gar nicht kalt, dass sein Freund Lazarus gestorben ist. Im Gegenteil: „Da weinte Jesus.“ Das macht uns nicht nur deutlich, dass Jesus Christus mit den Menschen mit fühlt. Jesus, der Sohn Gottes, der Christus, der Erlöser, ist einer von uns, er steht auf unserer Seite. Es verdeutlicht auch, dass jede und jeder von uns, der einen Verstorbenen zu beklagen hat, selbstverständlich weinen darf – trotz seines Glaubens, trotz seiner Hoffnung auf die Auferstehung und das Ewige Leben. Dieser Glaube, diese Hoffnung sollte allerdings das Fundament unserer Trauer bilden. Der Tod ist eben nicht das Ende. Jesus Christus, der den Tod besiegte, wird jeden Menschen zur Auferstehung führen. Auch mit diesen Fragen könnte ich mich einmal intensiver beschäftigen: Betrachte ich Jesus Christus als den Sohn Gottes, der mit meinen Sorgen und Nöten, meiner Trauer und meinem Schmerz mitfühlt? Und: Wie standfest ist mein Fundament der Hoffnung und des Glaubens an das Ewige Leben? Was kann ich tun, um dieses Fundament noch tragfähiger für mein Leben zu machen?

Am Ende des heutigen Evangeliumstextes wird Lazarus aus dem Grab herausgeholt. „Lazarus, komm heraus!“ ruft Jesus in das Grab hinein. Bei diesen Worten könnte ich mich fragen, in welchen „Gräbern“ bin ich eigentlich derzeit gefangen – und wovon möchte ich mich von Jesus Christus herausholen und befreien lassen? Wo möchte ich, dass Jesus mir hier und jetzt zuruft: „Komm heraus!

„Schauen Sie viel auf die Ewigkeit, auf die Sie hinstreben“ (DASal 6,360). Die Stelle aus dem Abschnitt des Johannes-Evangeliums von der Auferweckung des Lazarus bietet eine Fülle an Impulsen, um sich wieder einmal intensiver mit jenen Themen zu beschäftigen, die meine Ewigkeit betreffen: mein Glaube, meine Hoffnung, meine Gottesbeziehung, mein Beten, meine Frömmigkeit, meine tragenden Fundamente. Es ist keine Zeitverschwendung, sich mit solchen Fragen zu beschäftigen. Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS