Predigt zum 4. Sonntag im Jahreskreis (Mk 1,21-28)
Tremendum und fascinosum
In der Theologie gibt es zwei sich scheinbar widersprechende Begriffe, um das Geheimnis des Göttlichen zu beschreiben. Der eine Begriff lautet: „mysterium tremendum“ – also „das Geheimnis, das Furcht und Erschrecken auslöst“. Der zweite Begriff ist das „mysterium fascinosum“, also „das Geheimnis, das Staunen hervorruft“. Beides haben wir gerade vom Evangelisten Markus über Jesus von Nazaret geschildert bekommen:
Jesus fasziniert die Menschen – sie „waren voll Staunen über seine Lehre, denn er lehrte sie wie einer der Vollmacht hat“. Gleich danach „erschraken alle“ … vor dieser „Lehre mit Vollmacht“, der sogar die unreinen Geister gehorchen.
Erschrecken und Staunen – Zittern und Faszination, beides begleitet unseren Glauben und sollte uns eigentlich noch heute wie eh und je berühren, um dem Geheimnis des Göttlichen auf der Spur zu bleiben.
Die heutige Botschaft des Evangeliums stellt mir und uns allen also die Frage: Wie reagiere ich, wenn ich den Worten und Taten Jesu begegne?
Da muss ich für mich leider bekennen, dass viel zu oft weder das Erschrecken noch das Staunen eine Rolle spielen. Es ist alles irgendwie so normal geworden, so gewohnt, ja so gewöhnlich.
Gott wird Mensch, einer von uns … er lebt mitten unter uns – wir leben in seiner Gegenwart … die Vollmacht seiner Lehre … die Heilkraft seiner Gegenwart … dieser menschgewordene Gott lässt sich kreuzigen, um uns zu erlösen … er schenkt sich uns in Brot und Wein, um uns ganz nahe sein zu können … das alles sind Glaubenswahrheiten, die eigentlich erschrecken und faszinieren sollten, aber mittlerweile sehr oft spurlos an uns vorübergehen. Wir hören sie, ja natürlich, aber wo bleibt das Staunen, wo das Erschrecken?
Der heilige Franz von Sales ritt einmal während einer seiner vielen Visitationsreisen durch eine Stadt. Aufgrund seiner Reisebekleidung und seines Hutes war er nicht als Bischof zu erkennen. Ein Mann wollte wissen, wer denn dieser Reiter war, der da gerade die Stadt durchquerte. Einer antwortete: „Das war der Bischof von Genf.“ Da sagte der andere: „Echt, das war der Bischof von Genf? Wenn alle Bischöfe so wären wie dieser, dann gäbe es bald keine Ungläubigen mehr …“ Offenbar strahlte der heilige Franz von Sales etwas von diesem „mysterium tremendum und fascinosum“ aus, das die Menschen wie bei Jesus Christus spüren ließ, da ist einer, der mit göttlicher Vollmacht ausgestattet ist. Franz von Sales, das können wir in seinen Schriften immer wieder feststellen, war fasziniert und betroffen vom Geheimnis des Göttlichen und diese Faszination und Betroffenheit gab er an die Menschen weiter, nicht nur durch seine Worte, sondern durch sein ganzes Verhalten, so dass die Menschen durch ihn die Gegenwart Gottes leibhaftig und hautnah spüren und erfahren konnten.
Das Heilige wieder erfahrbar werden lassen, das wäre eigentlich der Auftrag, den uns das heutige Evangelium mit in den Alltag gibt: sich vom Geheimnis des Göttlichen treffen lassen und diese Betroffenheit weitergeben.
Letztlich geht es um die Tugend der Gottesfurcht – eine der sieben Gaben des Heiligen Geistes. Diese Gottesfurcht lässt uns vor dem Göttlichen ebenso erzittern wie erstaunen. Das bedeutet aber nicht, Angst zu haben, es bedeutet Ehrfurcht, Ehrfurcht vor der Größe und Unbegreiflichkeit Gottes.
Der Rat, den der heilige Franz von Sales der heiligen Johanna Franziska von Chantal gab, der gilt eigentlich auch uns: „Fürchten wir nichts, außer Gott, und ihn mit einer Furcht voll Liebe“ (DASal 5,148). Amen.
P. Herbert Winklehner OSFS