Predigt zum 4. Sonntag der Osterzeit (Joh 10,27-30)
Auf seine Stimme hören
Es sind heute nur wenige Sätze, die uns Jesus im eben gehörten Johannes-Evangelium sagt, aber genau deshalb lohnt es sich, darüber Satz für Satz genauer nachzudenken. Da sich heute viele mit dem Symbol des Hirten und der Schafherde schwer tun, sollten wir diese Sätze, die Jesus da spricht, am besten gleich direkt auf uns selbst beziehen:
„Du hörst auf meine Stimme“, sagt Jesus Christus also zu mir ganz persönlich. Und weiter: „Ich kenne dich und du folgst mir.“
Auf Jesus hören ist wesentlich. Wir tun es, wenn uns die Heilige Schrift, vor allem das Evangelium zum Lebensbegleiter wird, wenn wir immer wieder darin lesen und uns von der Botschaft, die darin enthalten ist, persönlich ansprechen lassen.
Und da sagt Jesus eben: „Ich kenne dich und du folgst mir.“ Diese Aussage erinnert mich an meine Taufe. Dort hat mich Jesus mit meinem Namen angesprochen und mich zum ersten Mal eingeladen, ihm zu folgen.
Jemanden kennen bedeutet, ihn wert schätzen, seine Würde und Einzigartigkeit wahrnehmen. In den Konzentrationslagern des Nationalsozialismus und in den vielen anderen Gefangenenlagern der Welt wurden und werden die Menschen zu Nummern degradiert. Mit dem Namen wird ihnen damit auch ihre Würde genommen. Der Mensch ist nichts mehr wert, er ist nur noch eine Nummer. Das genaue Gegenteil davon erfahren wir Jesus Christus: Er kennt mich mit meinem Namen, er spricht mich an, er achtet meine Würde und Einzigartigkeit, und er lädt mich dazu ein, ihm zu folgen.
Der heilige Franz von Sales fasst dies mit den Worten zusammen: „Wenn Gott einen Menschen … beruft, dann verpflichtet er sich auch …, ihm alles Notwendige zu geben, damit er seinen Beruf vollkommen erfüllen kann. Beruft er einen Menschen zum Christentum, dann verpflichtet er sich, ihm alles zu geben, damit er ein guter Christ sein könne“ (DASal 2,266-267).
Und noch etwas verspricht mir Jesus Christus: „Ich gebe dir ewiges Leben. Du wirst niemals zugrunde gehen. Niemand wird dich meiner Hand entreißen“.
„Wer auf Gott vertraut, wird nicht zugrunde gehen“, lautete der Wahlspruch des heiligen Franz von Sales: „Non excidet“. „Seine Liebe ist uns ganz sicher“ (DASal 2,336). Das ist das Versprechen Jesu an mich: Du wirst niemals zugrunde gehen. Du kannst mir vertrauen. Ich halte dich fest an meiner Hand, egal, was passiert. Meine Liebe ist dir ganz sicher.
Und schließlich die letzte bedeutungsvolle Aussage Jesu aus dem heutigen Evangelium: „Ich und der Vater sind eins“. Daran glauben wir: Jesus Christus ist Gott und Gott ist Jesus Christus. Wer Jesus Christus folgt, folgt Gott – und wer Gott folgt, folgt Jesus Christus. Es ist das, was uns von allen anderen Religionen dieser Welt unterscheidet: Es ist Gott selbst, der in Jesus Christus Mensch wurde, sich erniedrigte, gekreuzigt wurde und auferstand, damit wir das Leben haben, ewiges Leben, das Leben in Vollendung.
Franz von Sales sagt darüber in einer Predigt: „Unser Herr kommt selbst, um uns zu lehren, was wir tun müssen. Er ist der gute Hirte (Joh 10,11) und der überaus liebenswürdige Schäfer unserer Seelen, die seine Schafe sind, für die er so viel getan hat. Wie glücklich werden wir sein, wenn wir ihn getreu nachahmen und seinem Beispiel folgen, das er uns gibt“ (DASal 9,212).
Jesus zeigt sich uns also als der gute Hirte, der uns persönlich kennt. Wir gehören ihm und er gehört uns. Er beschützt uns, er rettet uns, er schenkt uns das Leben. Ich vertraue ihm und folge ihm. An der Hand Jesu haben das Böse und der Tod keine Macht mehr über mich. Wer zu Christus gehört, der ist in Gott geborgen.
Das sind die entscheidenden Aussagen, die uns Jesus heute mitgibt. Lassen wir uns davon ansprechen – und hören wir darauf mit ganzem Herzen. Amen.
P. Herbert Winklehner OSFS