Predigt zum 4. Fastensonntag (Lk 15,1-3.11-32)
Zeit der Barmherzigkeit
Die Geschichte, die uns Jesus gerade erzählt hat, gehört zu den Klassikern unter den biblischen Texten. Und trotzdem ist der Titel dieser Geschichte eigentlich falsch. Die Hauptperson ist nämlich nicht „der verlorene Sohn“, auch nicht der brave Sohn, der zuhause geblieben ist und sich aufregt, Hauptperson ist der barmherzige Vater. Jesus möchte uns also gar nicht sagen, wie wir uns verhalten sollen, er will deutlich machen: So wie dieser Vater in der Geschichte, genauso ist Gott. Seine Barmherzigkeit übertrifft alles, seine Freude über den Menschen, der diese Barmherzigkeit annimmt und sich in seine Arme wirft, ist grenzenlos. Und das gilt für jeden Menschen, egal in welcher Situation er sich gerade befindet.
Wenn man sich die Schar der Christen in unserer Pfarrgemeinde, in der Diözese, in der Welt oder auch in einem Kloster anschaut, dann gibt es da alle möglichen Schattierungen:
- Der eine lebt treu und verlässlich seinen Glauben, geht regelmäßig in die Kirche, hält die Gebote, betet, tut Gutes, Tag für Tag, so gut er kann;
- Die andere ist gerade dabei, Gott zu sagen, dass sie nichts mehr mit ihm zu tun haben will;
- Der eine ist schon weg, irgendwo und tut, was er will;
- Die andere verschleudert alles, was der Glaube ihr je geschenkt hat, denkt nur noch an sich selbst und ihre Vergnügungen;
- Der andere sitzt einsam in seiner Wohnung und weiß nicht mehr, wie er aus seinem Chaos, in das er sich hineinmanövriert hat, wieder herauskommen soll;
- Die andere erkennt, ja vielleicht könnte ich es mit Gott und meinem Glauben doch noch mal versuchen, ich könnte ja wieder mal in die Kirche gehen.
- Der andere hat bereits erste Schritte gesetzt und ist unterwegs, um mit Gott wieder in Berührung zu kommen;
- Die andere schließlich wird von Gott in die Arme genommen, getröstet und eingeladen, jetzt endlich ein Fest der Freude zu feiern.
Genau das will Jesus Christus uns mit seiner Geschichte sagen:
Egal in welcher Situation wir uns jetzt gerade befinden, wir dürfen sicher sein, dass Gott barmherzig ist und dass er sich unglaublich darüber freut, wenn wir seine Liebe annehmen.
Er zwingt uns zu nichts – aber wir sollen wissen, wenn wir Gott und uns eine Freude machen wollen, dann funktioniert das am besten, wenn wir uns in seine Arme werfen.
Fastenzeit ist auch eine Zeit, die uns die Barmherzigkeit Gottes bewusst machen will. An welchen Gott glaube ich eigentlich? Wo befinde ich mich gerade, wenn ich über meine Gottesbeziehung nachdenke? Sollte ich mich nicht noch näher an Gott herantasten, weil ich weiß, wie sehr er sich genau darüber freut?
Unser Pfarrpatron, der heilige Franz von Sales, hat als Bischof versucht, den Menschen den barmherzigen und liebenden Gott spürbar werden zu lassen. Er hat ein dickes Buch geschrieben, das in diesem Jahr 400 Jahre alt wird, und darin geht es nur um eines: um die Liebe Gottes zu uns Menschen. Ein Satz daraus lautet: „Jesus tut alles dafür, um uns deutlich zu machen, dass seine Barmherzigkeit und Liebe unendlich ist, dass er will, dass alle Menschen glücklich werden und keiner verloren geht.“ (vgl. DASal 3,120).
Es wäre schön, wenn wir uns genau das an diesem vierten Fastensonntag merken: Ich kann Gott keine größere Freude machen, als wenn ich mich jeden Tag von neuem in seine Arme werfe. Amen.
Herbert Winklehner OSFS