Predigt zum 30. Sonntag im Jahreskreis (Lk 18,9-14)

Wer Gott begegnet, ändert sich

Überlegen wir uns einmal, wie wir mit heiligen Orten, also zum Beispiel mit einer Kirche oder Kapelle umgehen. Wie betreten wir diesen Raum? Was tun wir in diesem Raum? Und wie verlassen wir ihn wieder?

Jede geistliche Lehrerin, jeder geistliche Lehrer egal welcher Religion ist eigentlich davon überzeugt, dass kein Mensch einen heiligen Ort so verlässt, wie er ihn betreten hat. Ob bewusst oder unbewusst, es geschieht etwas mit ihm, es ändert sich etwas in ihm. Für den heiligen Franz von Sales ist der Grund dafür klar: In jeder Kirche, in jeder Kapelle ist Gott anwesend – und wer Gott begegnet, der verändert sich. Einmal sagte er: „Wenn ihr nach dem Gebet ein verdrießliches und ärgerliches Gesicht macht, sieht man zur Genüge, dass ihr nicht so gebetet habt, wie ihr sollt“ (DASal 9,217). Oder an einer anderen Stelle: „Ein anderer hält sich für fromm, weil er täglich eine Menge Gebete heruntersagt, obwohl er nachher seiner Zunge alle Freiheit lässt für Schimpfworte, böse und beleidigende Reden gegen Hausgenossen und Nachbarn“ (DASal 1,33).

Im heutigen Evangelium betreten zwei Männer den Tempel. Ein Pharisäer, ein Zöllner. Beide betreten den Tempel, um zu beten, also mit Gott ins Gespräch zu kommen. Und keiner der beiden verlässt diesen heiligen Raum so, wie er ihn betreten hat, der eine, ein Sünder, ein Räuber und Betrüger, verlässt den Tempel als Gerechter, der andere nicht.

Als „Gerechter“ wird in der jüdischen Welt, in der auch Jesus Christus zuhause ist, ein Mensch genannt, der rechtschaffen lebt, hoch angesehen ist und moralisch herausragende Leistungen vollbringt … der Titel „Gerechter“ ist also im Judentum das, was wir heute „heilig“ nennen. Der Zöllner wird also nach seinem Besuch im Tempel heiliggesprochen, der Pharisäer nicht.

Was ist da passiert? Jesus Christus beantwortet die Frage am Ende seiner Geschichte: „Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.“

Genau das passiert immer, wenn wir einen heiligen Raum betreten: Ich trete ein in die Gegenwart Gottes – und dann habe ich die Möglichkeit, mich selbst zu erkennen, so wie ich bin, mit meinen Stärken und Fähigkeiten, Fehlern und Schwächen – und mich so, wie ich bin, von Gott angenommen zu wissen und mich von ihm lieben zu lassen … oder mich hinter der Maske meiner Überheblichkeit zu verstecken, in der Meinung, ich könnte Gott damit überlisten.

Wenn wir Jesus Christus Glauben schenken, dann macht uns das eine Verhalten zu Heiligen, zu Gerechten … das andere aber nicht.

Was lernen wir daraus? Der heilige Franz von Sales empfiehlt uns die Haltung der Demut, vor allem dann, wenn wir uns der Gegenwart Gottes bewusst sind, also die Haltung dieses Zöllners, der nicht einmal wagt, seine Augen zum Himmel zu erheben – und der betet: „Herr, sei mir Sünder gnädig“ … oder anders gebetet: „Gott, du kennst mich! Vor dir brauche ich mich nicht zu verstecken. Du kennst mein Herz besser als ich. Nimm mich an, so wie ich bin, und verwandle mich zu dem, der ich sein soll, so wie es deinem Willen entspricht! Nicht ich bin es, der entscheidet, was recht ist, sondern du – ich stelle mich dir voll und ganz zur Verfügung.“

Wir können uns sicher sein, dass das eintritt, was auch in einem Psalm formuliert ist: „ein demütiges Herz wirst du, o Gott, nicht verschmähen.“ Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS