Predigt zum 26. Sonntag im Jahreskreis (Mk 9,38-43.45.47-48)

Für Toleranz, gegen Skandale

Im Zentrum der Botschaft Jesu steht das Reich Gottes oder das Himmelreich. Es ist eine Welt voll Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung, eine Welt ohne Leid und Armut, ohne Be- oder gar Abwertung der Menschen nach Geschlecht, Hautfarbe oder Nationalität. Mit der Menschwerdung Jesu ist dieses Himmelreich bereits angebrochen und alle, die Jesus nachfolgen, sind dazu beauftragt, an der Vollendung dieses Himmelreiches mitzuarbeiten.

Wie wichtig Jesus diese Botschaft und diese Verwirklichung des Himmelreiches war, das können wir am heutigen Abschnitt aus dem Markusevangelium sehr gut erkennen.

Im ersten Teil macht Jesus seinen engsten Mitarbeitern, also den zwölf Aposteln, deutlich, dass jede kleinste Tat in Richtung Vollendung des Himmelreiches zählt und gut ist, sogar dann, wenn sie nicht im Namen Jesu geschieht: „Wer nicht gegen uns ist, der ist für uns …“ Auch der Becher Wasser trägt dazu bei, dass sich das Himmelreich verwirklicht.

Diesen ersten Teil können wir wahrscheinlich alle gut nachvollziehen. Es geht um die Toleranz anderen gegenüber und darum, dass jede Kleinigkeit zählt. Oder wie der heilige Franz von Sales sagt: „Vor allem liebe ich die kleinen Tugenden“ (DASal 5,96), die ich jederzeit und überall verwirklichen kann.

Beim zweiten Teil tun wir uns wahrscheinlich viel schwerer. Die Bilder, die Jesus hier verwendet, erinnern uns heute mehr an die radikalen Islamisten und ihren Terror-Methoden: „Mühlstein um den Hals“, Hand oder Fuß abhacken, Augen ausreißen. Selbstverständlich wäre das eine krasse Fehlinterpretation. Jesus ist weder Islamist, noch Terrorist. Aber worum geht es ihm dann? Auf die richtige Spur bringt uns da das Wort „Ärgernis“. Im griechischen Urtext steht da das Wort „skandalon“. Es geht also um die Skandale, die dazu beitragen, dass sich die Menschen von der Botschaft des Himmelreiches abwenden. Und wenn wir ehrlich sind, dann fallen uns jetzt sicher gleich eine ganze Reihe solcher Skandale aus der zweitausendjährigen Kirchengeschichte bis zum heutigen Tag ein, die Menschen dazu veranlassten und veranlassen, der Kirche und damit Jesus und seiner Botschaft den Rücken zu kehren. Solche Skandale gilt es abzustellen. Es geht also nicht um die Bekehrung der anderen, sondern um uns selbst. Jedes kleinste Ärgernis, jeder kleinste Skandal, den wir verursachen, schadet der Botschaft Jesu und dem Wachsen des Himmelreiches in unserer Welt. Um uns das deutlich zu machen, verwendet Jesus wirklich krasse Beispiele, damit wir sie im täglichen Leben auch nicht vergessen.

In seiner Antrittsrede als Domprobst der Diözese Genf ging der heilige Franz von Sales auch auf den Skandal ein, von dem die Kirche damals erschüttert wurde und die Christenheit ein weiteres Mal spaltete. Er meinte damals aber nicht die Reformatoren, die sich von der katholischen Kirche entfernten, er meinte das „überaus schlechte Beispiel der Priester“ und die „Sündhaftigkeit aller, vor allem aber des geistlichen Standes“ (DASal 10,388), der dazu beitrug, dass sich die Menschen von der Kirche abwandten. Dieser Skandal, dieses Ärgernis muss beendet werden, wenn wir wollen, dass die Menschen wieder an die Botschaft Jesu vom Himmelreich glauben.

Wenn wir heute diesen Abschnitt aus dem Markusevangelium gehört haben, dann gibt uns das Anlass, darüber nachzudenken, ob ich durch mein Verhalten Ärgernis errege und damit Menschen von der Botschaft Jesu abschrecke, oder ob das Gegenteil der Fall ist, dass die Menschen an mir und meinem Verhalten erkennen, dass es Jesus Christus und seiner Kirche um die Vollendung des Himmelreiches geht, also um eine Welt voll Gerechtigkeit, Friede und Bewahrung der Schöpfung, eine Welt ohne Leid und Armut, ohne Be- oder gar Abwertung der Menschen nach Geschlecht, Hautfarbe oder Nationalität, und dass jede Kleinigkeit zählt, die dazu beiträgt, dieses Himmelreich Wirklichkeit werden zu lassen. Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS