Predigt zum 26. Sonntag im Jahreskreis (Lk 16,19-31)

Dankbar sein und Gutes tun

Das Musical „Les Miserables“ zählt bis heute zu den erfolgreichsten Musical-Aufführungen. Es erzählt die Geschichte eines Galeerensträflings, der sich ein Leben lang bemüht, ein guter Mensch zu werden. Den Anstoß dazu gab ein Bischof, der den Sträfling in seiner Gutmütigkeit aufnahm. Der Sträfling jedoch nützte die Gutmütigkeit des Bischofs aus und stahl ihm einen Silberteller. Der Dieb, der behauptete, der Bischof hätte ihm den Teller geschenkt, wurde gefasst und zum Bischof zurückgebracht, damit dieser ihn bestrafe. Und was machte der Bischof? Er sagte: Warum bist du so schnell verschwunden? Ich wollte dir nämlich nicht nur den Silberteller, sondern auch noch meinen Silberleuchter schenken. Also nimm ihn und versuche aus diesem Geschenk Gutes zu tun.

Als ich dieses Musical, das nach dem Roman „Die Elenden“ von Victor Hugo, einem Meisterwerk der Weltliteratur, geschrieben wurde, das erste Mal sah, war ich ziemlich überrascht. Denn diese Geschichte des Bischofs war mir bereits bekannt: es war Franz von Sales, der einem Bettler, der ihn bestohlen hatte, nicht ins Gefängnis werfen ließ, sondern noch mehr beschenkte, damit dieser ein besserer Mensch werde.

Wenn in der Bibel die Geschichte von Lazarus erzählt wird, muss ich an diese Episode aus dem Leben des heiligen Franz von Sales denken und daran, dass sie Eingang gefunden hat in die Weltliteratur und in ein sehr erfolgreiches Musical. Leider nennt das Musical nicht seinen Namen. Aber auch das passt zu Franz von Sales: es ist nicht wichtig, durch seine Barmherzigkeit berühmt zu werden, viel wichtiger ist es, einfach barmherzig zu sein. Und das war Franz von Sales sein ganzes Leben lang.

Von ihm gibt es auch eine ähnliche Erzählung wie vom heiligen Martin, der mit einem Bettler seinen Mantel teilte. Franz von Sales ging sogar einen Schritt weiter. Als er einen Bettler mit zerrissenen Kleidern auf der Straße sah, nahm er kurzerhand seine neue Soutane und schenkte sie ihm. Er meinte: Meine alte Soutane ist zwar an manchen Stellen geflickt, aber immer noch gut genug, und vor allem in einem viel besseren Zustand als das Gewand dieses Bettlers.

Solche und ähnliche Geschichten haben die Menschen zu jeder Zeit imponiert und fasziniert – und ich denke, sie tun es auch heute. Die Heiligen der Nächstenliebe, wie etwa der heilige Martin, die heilige Elisabet oder nun die heilige Mutter Teresa von Kalkutta sind das Aushängeschild des Christentums. Das Image der Kirche kann durch alle möglichen Skandale noch so schlecht sein, ihre caritativen Leistungen werden allerdings immer anerkannt und gewürdigt.

Wir feiern heute das Erntedankfest … das Gleichnis vom reichen Prasser und dem armen Lazarus mag uns ein wenig nachdenklich stimmen darüber, wie wir mit unserem Reichtum umgehen, der uns in der so genannten westlichen Welt täglich umgibt, wie sehr wir bereit sind, diesen Reichtum zu teilen vor allem mit jenen, denen es nicht so gut geht.

Ich danke Gott jeden Tag, dass ich nicht hungern muss. Ich danke ihm jeden Tag, dass ich ein Dach über dem Kopf habe und ein weiches warmes Bett, in dem ich mich ausruhen kann. Ich danke Gott jeden Tag, dass meine medizinische Versorgung gesichert ist. Ich danke ihm jeden Tag, dass ich in einem Land lebe, wo es Frieden gibt, wo die Menschenrechte geachtet werden und Demokratie herrscht. Ich danke ihm jeden Tag, wenn ich mir die Nachrichten anschaue und sehe, was in anderen Teilen der Welt so alles passiert … und ich hoffe und bete darum, dass er mir die Kraft gibt, den armen Lazarus in unserer Mitte nicht aus den Augen zu verlieren. Ich bin mir sicher, dass einer jeden und einem jeden von uns sofort ein solcher Lazarus einfällt, der um uns lebt. Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS