Predigt zum 25. Sonntag im Jahreskreis (Mt 20,1-16a)

Gottes Barmherzigkeit ist größer

Mir ist natürlich bewusst, dass dieses Gleichnis vom Gutsbesitzer, der allen Arbeitern den gleichen Lohn gibt, egal, wie lange sie arbeiteten, immer wieder auf Unverständnis stößt – genauso wie bei den Arbeitern im Gleichnis selbst, wo ein Murren durch die Reihen ging.

Wichtig für das Verständnis dieses Gleichnisses ist sicher, dass es hier nicht um Arbeitszeitverkürzungen oder Tarifverträge geht, die Jesus da einmahnt, bei diesem Gleichnis geht es um das Himmelreich.

Und da möchte ich euch ein Erlebnis erzählen, das ich erst vor ein paar Wochen hatte. In der Erzdiözese Wien gibt es die wunderbare Einrichtung des „Priesternotrufes“. Wer einen Priester braucht, wählt einfach die Notrufnummer 142 und wird an einen Priester vermittelt. Ein jeder von uns hat so ungefähr einmal im Monat „Notrufdienst“. 24 Stunden steht man da für Notfälle zur Verfügung. In den meisten Fällen geht es dabei um das Krankensakrament in unmittelbarer Todesgefahr – also um die so genannte „Letzte Ölung“.

Vor einigen Wochen nun wurde ich zu einem solchen Notfall gerufen. Der Patient lag jedoch noch nicht im Sterben, wusste allerdings, dass er durch seine Krebserkrankung nicht mehr lange zu leben hat. Er erzählte mir damals praktisch seine gesamte Lebensgeschichte, bei der alles andere eine Rolle spielte, nur Gott nicht. Es war ein ausschweifendes Leben mit einer ganzen Menge durchaus schwerer Sünden. Und am Ende seiner Ausführungen fragte er mich: „Glauben Sie, dass ich bei einem solchen Leben überhaupt eine Chance habe, in den Himmel zu kommen?“

Ich gab dem Patienten keine direkte Antwort, sondern erzählte ihm genau dieses Gleichnis, das wir heute gehört haben. Und es war wirklich wunderschön zu erleben, wie dieser Mensch am Ende meiner Geschichte so richtig erlöst zu strahlen begann. „Steht das wirklich so in der Bibel?“ fragte er dann. „Ja, genauso“. Und dann sagte dieser Krebskranke, dem völlig klar war, dass er bald sterben wird: „Jetzt bin ich der glücklichste Mensch auf der Welt.“

Ich habe ihm dann noch vom Verbrecher erzählt, der zusammen mit Jesus gekreuzigt wurde und bat: „Herr, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst.“ Und Jesus antwortet: „Noch heute wirst du bei mir im Paradies sein.“ Und der Patient verstand auch diese Botschaft.

Der heilige Franz von Sales schrieb einmal: „Die Barmherzigkeit Gottes ist unendlich größer als alle Sünden der Welt“ (vgl. DASal 12,77). Wer sich dieser Barmherzigkeit anvertraut, egal zu welchem Zeitpunkt seines Lebens, der wird nicht verloren gehen.

Für mich ist daher dieses Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg überhaupt kein Anlass, mich über Gott zu beschweren. Im Gegenteil, ich bin dankbar dafür und es macht mir Mut für mein Leben und meinen Glauben, weil ich durch dieses Gleichnis erfahre, dass Gottes Gerechtigkeit eben nicht so rechnet, wie wir Menschen das tun. Es wird vielmehr deutlich, dass in dieser Gerechtigkeit Gottes eine ganz große Portion seiner Barmherzigkeit drinnen steckt – und wer diese Barmherzigkeit an sich heranlässt, der hat immer eine Chance.

So wie der heilige Franz von Sales schreibt: „Nichts … unterlässt dieser göttliche Erlöser, um uns zu offenbaren, dass seine … Barmherzigkeit weiter reicht als seine Gerichte (Jak 2,13), dass … seine Liebe unendlich ist; … und daher will, dass alle Menschen selig werden und keiner verloren gehe“ (Theotimus II,8; DASal 3,120).

Ich bin mit meinen Fehlern, Schwächen und Sünden, dennoch von Gott geliebt und habe immer die Möglichkeit, von ihm mit dem vollen Lohn beschenkt zu werden.

Jesus wollte also mit seinem Weinberg-Gleichnis seine Zuhörer nicht vor den Kopf stoßen, sondern sie ermutigen, in seiner Nachfolge weiterzugehen. Denn Gottes Barmherzigkeit ist unendlich größer als alle Sünden der Welt. Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS